Martha Argerich | News | Feinsinn

Feinsinn

30.07.2004
Es ist ein Treffen der Superlative. Mikhail Pletnev hat sich für ein Album mit Martha Argerich zusammengetan und sich für diese Gelegenheit etwas Besonderes einfallen lassen. Denn neben den fünf vierhändigen Klavierstücken “Ma Mère l’Oye” von Maurice Ravel hat er seiner Kollegin eine eigene Bearbeitung von Prokofievs Balletmusik “Cinderella” unterbreitet. Gemeinsam haben sie sich des Werkes angenommen und es in eine filigrane akustische Form gegossen.
Serge Prokofiev war eine umstrittene Gestalt. Denn im Unterschied zu vielen seiner Landsleute, die vor dem Stalinistischen System geflüchtet waren, hatte er beschlossen, in seiner russischen Heimat zu bleiben und sich mit den sowjetischen Machthabern zu arrangieren. Das wiederum hieß, dass er sich der Parteilinie fügen musste, die für das Volk einfache und verständliche Musik forderte. Es war eine Einschränkung, aber auch eine Herausforderung: “Es ist heute nicht mehr an der Zeit, Musik für einen kleinen Kreis von ästhetisierenden Hörern zu schreiben”, meinte der Komponist anno 1937 mit Blick auf die neuen stilistischen Tendenzen nach Schönberg und ergänzte: “Unsere Gegenwart sieht eine entscheidende Begegnung von weitesten Kreisen unseres Volkes mit ernster Musik. Die Aufgabe des Komponisten muss es sein, diese Tatsache aufmerksam zu verfolgen. Wenn der neue Hörer nicht ernst genommen wird, lässt er sich vom Jazz und vom seichten Schlager einfangen”. Schon deshalb war Prokofiev auch populäreren Formen wie Film- und Ballettmusik gewogen. Zwei seiner sieben Tanzsuiten für die Bühne, “Romeo und Julia” und “Aschenbrödel”, sind bis heute fest im Repertoire internationaler Ensembles. Ihre Qualitäten reichen allerdings weit über die Tanzbarkeit hinaus. Deshalb hat sich auch Mikhail Pletnev der “Cindarella-Suite” angenommen und sie für zwei Klaviere bearbeitet.
 
Prokofievs Diktum im Hinterkopf, er würde viel zu selten in seinen lyrischen Qualitäten wahrgenommen, näherte sich der russische Pianist dem Werk seines Landsmanns mit gestalterischer Behutsamkeit. Die Transkription der Orchestervorlage verzichtet auf vordergründige Virtuosität und legt vielmehr Wert auf sein subtiles Ineinandergreifen der Stimmen, auf die Entwicklung musikalischer Charakteristika, die die Märchenstimmung der Vorlage nachvollziehen. Gemeinsam mit Martha Argerich hat sich Pletnev dann im August 2003 im Theater des Schweizer Städtchens Vevey vor die Mikrophone gewagt und die “Cindarella-Suite” zusammen mit den “Cinq pièces enfantises pour piano à quatre mains – Ma Mère l’Oye” aufgenommen. Es ist betörend anzuhören, mit welcher Finesse die Ausnahmemusiker sich an die Ausgestaltung der Werke machen. Denn beiden spürt an man, dass sie noch ganz anderes können, doch die ungeheure musikalische und technische Kompetenz ganz in den Dienst des subtilen Ausdrucks stellen. So ist das “Cindarella”-Duo nicht nur ein Beispiel für sympathetische Nachempfindung einer kompositorischen Absicht, sondern vor allem ein inspiriertes Miteinander zweier Künstler, die bescheiden und musikbesessen die Wirkung des Ganzen im Auge haben. Und das ist die eigentliche Meisterschaft.
Folge der Deutschen Grammophon