Es ist erstaunlich, dass “Luisa Miller” genau genommen erst während der vergangenen drei Jahrzehnte vom internationalen Publikum wirklich wahrgenommen wurde. Denn die vergleichsweise frühe Oper Giuseppe Verdis hatte bereits alles, was auch seine späteren Kassenschlager prägte: eingängige, reizvolle Arien, großartige Chöre, rasante Musik und einen Plot, der die Menschen im Saal nicht überfordert. Inzwischen jedenfalls gehört sie zu den beliebten Beispielen für die gestalterischen Vielseitigkeit des Komponisten und das liegt auch an Persönlichkeiten wie Renata Scotto, die an der Met dokumentierten, dass in der scheinbar so simplen Titelrolle große charakterliche Qualitäten verborgen sind.
Nicht dass Giuseppe Verdi noch ein musikalisches Greenhorn gewesen wäre. Im Gegenteil, der italienischen Opernspezialist hatte bereits rund ein Dutzend Bühnenwerke der Öffentlichkeit präsentiert, darunter so erfolgreiche Klassiker wie “Nabucco” (1842). Überhaupt hatte er sich mit zahlreichen Literaturvertonungen von William Shakespeare über Lord Byron bis Friedrich Schiller in der Disziplin der ernsthaften Kunst einen Namen gemacht. Trotzdem blieb das 1849 in Neapel uraufgeführten Werk ein Ladenhüter und das, obwohl die Kritik sich durchaus wohlwollend geäußert hatte. “Luisa Miller” wurde einige Vorstellungen lang gespielt, dann verschwand sie nahezu vollständig aus dem Repertoire der internationalen Häuser. Erst in den 1920er Jahren, als Giuseppe Verdi als Komponist wieder entdeckt wurde, holte man auch die launische Liebes-Tragödie wieder aus der Versenkung. An der Metropolitan Opera in New York hatte sie im Dezember 1929 Premiere, um nach einigen Vorstellungen allerdings wieder abgesetzt und erst 1968 neu inszeniert zu werden. Von da an konnte man sie endlich öfter auf der Bühne erleben, vor allem nachdem der Star des Hauses Renata Scotto die Titelrolle für sich entdeckt hatte. Mit einem Mal wurde aus dem naiven Bauernmädchen, das sich an den Intrigen der Mächtigen aufarbeitet, eine vielschichtige, tragische Persönlichkeit, deren Schmerz in den letzten Szenen weit über die geläufige Figurengestaltung hinausreicht.
Dabei half es durchaus, dass mit Schillers Vorlage eine Geschichte zur Umsetzung kam, die sich durch konsequente lineare Handlung auszeichnete. Das Thema ist typisch für die einsetzende literarische Romantik: Luisa Miller, Mädchen von niederem Stande, liebt Rodolfo, den Sohn des Grafen Walter. Der wiederum würde seinen Sprössling gerne taktisch klug mit der Herzogin von Ostheim Federica verheiraten. Liebe steht also gegen Staatsräson, Luisa wird von einem Intriganten gezwungen, einen falschen Geständnisbrief ihrer Untreue zu schreiben. Rodolfo lässt sie und ihn selbst daraufhin von einem Giftbecher trinken, bevor beide erkennen, dass sie Opfer einer Niedertracht geworden sind. Bei derart viel Emotion ist es klar, dass eine Rolle wie die der Luisa schnell ins Seichte abrutschen kann. Renata Scott jedoch gelingt es, ihr eine beinahe Antigone-hafte Größe zu verleihen, nicht nur gesanglich, sondern auch mit differenzierter schauspielerischer Darstellung. Ihr zur Seite für die 1979 aufgenommene DVD-Fassung stehen der in der Blüte seiner Ausdruckskraft brillierende Placido Domingo als Rodolfo, der großartige Bariton Sherrill Milnes als Luisas Vater und Bonaldo Giaiotti als Graf Walter. Dirigiert wurde die Vorstellung vom ebenfalls noch erfrischend ungestümen James Levine, der der über weite Strecken fröhlich unbeschwerten Musik die passende Lockerheit gab. Für die Veröffentlichung im DVD-Format wurden die Original-Bändern noch einmal zur Überarbeitung geschickt, um unter der Ägide der Surround-Profis der Emil Berliner Studios in Berlin sowohl in PCM Stereo wie in DTS / Dolby Digital 5.1 Klang remastered zu werden. Heraus kam ein Glanzstück des Opernfilms in inszenatorisch traditionellem Gewand, das mit viel Charme die Stimmung der “Luisa Miller” einfängt.