Biografie
Mikhail Pletnev, Pianist, Dirigent und Komponist, zählt zu den vielseitigsten Künstlern unserer Zeit. Der gebürtige Russe lässt Musik durch die Ausdruckstiefe seiner Lesart lebendig werden, als entstünde sie im Moment seines Spiels – immer überraschend und doch dem Komponisten treu. »Der Geist der Musik liegt jenseits der Noten«, sagt er selbst.
Pletnev unterzeichnete 1993 einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon. Im folgenden Jahrzehnt bereicherte er den Katalog des Labels als Pianist und Dirigent um mehr als 40 von der Kritik gefeierte Aufnahmen. 1994 erschienen gleich drei bemerkenswerte Alben, auf denen er das Russische Nationalorchester (RNO) leitete – ein Ensemble, das er vier Jahre zuvor gegründet hatte. Das erste Album, aufgenommen im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums, stellte Rachmaninows Zweite Symphonie und seine frühe symphonische Dichtung Der Fels vor. Kurz darauf folgten Tschaikowskys Manfred-Symphonie sowie ein Album mit russischen Ouvertüren.
Weitere Höhepunkte sind Prokofjews Ballett Cinderella (1995), Tschaikowskys sechs Symphonien und andere Orchesterwerke (1996–98) sowie Dornröschen (1999), Skrjabins Symphonien Nr. 3 und Nr. 4 und Le Poème de l’Extase (1999), Rachmaninows Symphonie Nr. 1 und Die Toteninsel (2000) sowie die Chorsymphonie Die Glocken (2001), ferner Beethovens neun Symphonien (2007) und fünf Klavierkonzerte (2007–08).
Ebenso herausragend sind Pletnevs Aufnahmen für das Gelblabel als Solopianist. Seinem ersten Recitalalbum, einem reinen Chopin-Programm (1997), folgte Liszts monumentale Klaviersonate in h-Moll (1998). Rachmaninow würdigte er 1999 mit einem Album, das die Variationen über ein Thema von Corelli und die Études-Tableaux zusammenbringt, und er erhielt begeisterte Kritiken für seine Aufnahme der Sonaten und Rondos von C. P. E. Bach (2001), deren Interpretation vom BBC Music Magazine für »ihren feinstofflichen Humor und ihre quecksilbrige Poesie« gerühmt wurde.
2005 erhielten Pletnevs Bearbeitung für zwei Klaviere von Prokofjews Cinderella-Suite op. 87 und Ravels vierhändige Originalfassung von Ma mère l’Oye, aufgenommen mit Martha Argerich, den Grammy Award für die beste kammermusikalische Darbietung. Zuvor war die Aufnahme bereits mit dem Diapason d’or, dem Choc du Monde de la Musique und dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet worden. Ein Gramophone Award folgte im selben Jahr für seine Einspielung von Tanejews Klavierquintett und Klaviertrio.
Nach einer Pause kehrte Pletnev 2025 zu Deutsche Grammophon zurück und knüpfte an seine lange künstlerische Partnerschaft mit dem Label an. Sein neues Album mit Präludien von Chopin und Skrjabin wurde in einer einzigen viereinhalbstündigen Sitzung eingespielt, es erscheint am 5. Dezember. Neben der hochauflösenden Digitalaufnahme wurde die Musik auch auf analogen Masterbändern aufgezeichnet – die erste rein analoge DG-Produktion seit den 1980er-Jahren.
Mikhail Pletnev kam 1957 in Archangelsk als Sohn einer Musikerfamilie zur Welt. Sein außergewöhnliches Talent zeigte sich schon früh und wurde an der Zentralen Musikschule und am Konservatorium in Moskau weiter gefördert. 1978 gewann der 21‑Jährige beim Internationalen Tschaikowsky‑Wettbewerb in Moskau die Goldmedaille und den Ersten Preis, was ihm schlagartig internationale Aufmerksamkeit einbrachte. 1979 debütierte er in den Vereinigten Staaten und begann, auch außerhalb der Sowjetunion zu konzertieren. Nur ein Jahr später stand er erstmals am Pult eines Orchesters; in den folgenden Jahren machte er sich auch als Gastdirigent international einen Namen.
Pletnevs Freundschaft mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow entwickelte sich 1988 nach einem Auftritt in Washington D.C. im Rahmen eines Gipfeltreffens der Supermächte. Sie bewog ihn, zwei Jahre später das RNO zu gründen – das erste unabhängige Orchester in Russland seit der Revolution von 1917. Trotz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen nach dem Zerfall der Sowjetunion gelang es Pletnev, herausragende Musiker:innen für das RNO zu gewinnen und dem Ensemble durch internationale Tourneen und Aufnahmen weltweite Anerkennung zu sichern.
Als Gastdirigent hat er mit vielen führenden Orchestern zusammengearbeitet, darunter das Tokyo Philharmonic Orchestra, das ihn 2015 zum Special Guest Conductor ernannte. 2017 dirigierte er zudem für eine DG-Aufnahme mit Daniil Trifonov und dem Mahler Chamber Orchestra Chopins Klavierkonzerte in eigener Orchestrierung.
Nachdem Pletnev in die Schweiz gezogen war, gründete er 2022 das Rachmaninoff International Orchestra – sein Postulat für künstlerische Freiheit. Das nach dem großen Pianisten, Dirigenten und Komponisten benannte Ensemble debütierte mit Konzerten im schweizerischen Rolle, geleitet von Kent Nagano, mit Pletnev als Solist, der an zwei Abenden alle Rachmaninow-Klavierkonzerte aufführte.
Pletnevs kompositorisches Schaffen, mit dem er in den späten 1970er-Jahren begann, umfasst das vielbeachtete Trompetenkonzert für Sergei Nakariakov und die Cellosonate, die Steven Isserlis gewidmet ist. Seine Orchestrierungen der beiden Klavierkonzerte von Chopin wurden 2025 beim 80. Internationalen Chopin-Klavierfestival im polnischen Duszniki-Zdrój mit großem Beifall aufgeführt. Seine Suite Rachmaniana, ein Auftragswerk des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, feiert im Januar 2026 in der Elbphilharmonie Hamburg ihre Premiere.
10/2025