Viel wurde er gefeiert während der vergangenen Wochen. Pierre Boulez' 80. Geburtstag war eine Gelegenheit für die zeitgenössische klassische Musikszene, sich über die eigenen Befindlichkeiten Gedanken zu machen. Schließlich gibt es Stimmen, die davon ausgehen, dass eh schon alles gesagt und getan worden ist, denen Boulez als Komponist und aktiver Mitgestalter der Ausdruckssprache der komponierenden Moderne aber von jeher mit Wort und Tat entgegen tritt. Eine Miniatur-Werkschau wie …explosante – fixe… in der Reihe echo 20/21 ist daher ein gutes Beispiel dafür, wie abseits dominanter Schulmeinungen ein kreatives Individuum seinen markanten Weg durch den Dschungel der scheinbaren Beliebigkeit zu gehen vermag.
Pierre Boulez war von Anfang an nicht leicht zu beeindrucken. Zunächst einmal schlug der Sohn den Plan des Vaters in den Wind, als technisch orientierter Wissenschaftler Karriere zu machen. Er ging Mitte der Vierziger bei Olivier Messiaen und René Leibowitz in die Schule, verabschiedete sich aber bereits 1946 wieder von deren Vorstellung dodekaphonischer oder serieller Klanggestaltung. Boulez Ideen waren genialischer und er formulierte sie 1945 zum ersten Mal behutsam und noch schüchtern mit seinem offiziellen Opus 1, den “Notations”. Dabei handelte es sich um zwölf Miniaturen zu jeweils zwölf Takten variabler Länge, die zwar noch Bezüge zur Zwölftontechnik, zur impressionistischen Farbgebung und expressionistischen Temperamentsaufwallung aufwiesen, insgesamt aber bereits auf einen Komponisten verwiesen, der sich nicht zufrieden mit dem theoretischen Stand der Dinge zeigte. Hier suchte jemand andere Wege und fand sie in den verschiedenen Stellungnahmen zum Thema musikalische Freiheit, die Boulez in den folgenden Jahren formulierte. Dabei kamen ihm seine Erfahrungen als Leiter der Bühnenmusik der Compagnie Renaud-Barrault ebenso zugute wie die Arbeit an der Basis der Neuen Musik, die er etwa durch die von ihm initiierte Konzertreihe der Domaine Musical leistete. Mit “Le Marteau sans Maître” setzte er sich 1955 im Bewusstsein der Avantgardisten fest, kleinere Kompositionen wie “Structures” dokumentierten seine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der kreativen Öffnung des notierten Systems zugunsten der gestalterischen Spontaneität.
Boulez begann Anfang der Sechziger seine zweite Karriere als Dirigent und blieb zugleich ein aufmerksamer Beobachter der zeitgenössischen Klangwelt, die immer neue Möglichkeiten zu bieten vorgab. Die Grenzen der Ausdruckskraft waren aber in Bezug auf die elektronischen Tonerzeuger zunächst noch sehr deutlich. Die Idee zu …explosante – fixe… hatte er bereits um 1970, die ersten Versuche der Ausführung scheiterten jedoch an den Beschränkungen der Technik. Es dauerte bis in die frühen neunziger Jahren hinein, dass sich Boulez abermals an die Umsetzung seines Projektes wagte. Diesmal standen ihm nicht nur die ausgezeichneten Musiker des Ensemble Intercontemporain zur Verfügung, sondern auch Errungenschaften wie die MIDI-Schnittstelle, die einen unmittelbaren Kontakt jedes beliebigen Instrumentes mit einem Computer ermöglichte. So wurde eine der drei Flöten mit einem Rechner vernetzt, um die Farbgebung der Klangeindrücke zu verändern. Die Komposition an sich ähnelt in ihrer Anlage einem Tripple-Konzert mit Elementen der Kammermusik ebenso wie dem großorchestralen Impetus und dem des Solo-Konzerts. Es wurde im Oktober 1994 auf Bändern festgehalten und wird nun als Weltersteinspielung in der Reihe echo 20/21 einer interessierten Öffentlichkeit auf CD vorgestellt. Damit schließt sich eine Lücke in der Diskographie einer der großen Persönlichkeiten der vergangenen Musikdekaden, deren kompositorische Handschrift markante Spuren im klassisch-kulturellen Leben hinterlassen hat.