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Albrecht Mayer
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Auf Mozarts Spuren

08.10.2004

Anfang September begannen wir mit Albrecht Mayers persönlichen Notizen zu seinem neuen Album “Auf Mozarts Spuren” und kündigten für den Herbst weitere Folgen dieser spannenden Serie an. Die Reaktionen auf Mayers launige Plaudereien sind so gut angekommen, das wir Ihnen deshalb heute gleich drei Randnotizen zu seiner Spurensuche anbieten möchten, quasi ein randvolles musikalisches Albrecht Mayer-Notizbuch. Viel Spaß bei der Lektüre…

Authentizität und Tradierung: W.A. Mozarts Oboenkonzert

 

Mozarts Oboenkonzert KV 314 ist Meßlatte und Meilenstein für jeden Oboisten, egal ob er gerade mit dem Oboenspiel begonnen hat oder bereits seit Jahrzehnten Profimusiker ist. Es ist Pflichtstück in Probespielen, Wettbewerben, Meisterkursen und für mich ist es eng verknüpft mit Ingo Goritzki und sein lebenslanges Bemühen um die Originalgestalt dieses Werkes.

 

Mit 16 hörte ich Mozarts Oboenkonzert erstmals nicht in der üblichen Version von Bernhard Paumgarten, dessen sensationeller Fund einer Abschrift vor nun knapp hundert Jahren das verloren geglaubte Konzert aus seinem Schneewittchen-Schlaf erlöste, sondern in der sogenannten Flötenfassung, also der notengetreuen Transkription des Flötenkonzertes KV 314 D-Dur für die Oboe nach C-Dur. Die beiden Versionen weichen an vielen Stellen voneinander ab, da die wiederentdeckte Abschrift offensichtlich verändert wurde – höchstwahrscheinlich von einem Oboisten, der sich den Solopart eingerichtet hat.

 

Die Goritzki’sche Flötenfassung faszinierte mich schon damals und etwas später spielte ich sie dem großen Heinz Holliger vor, doch für ihn hatte seinerzeit nur die Paumgarten-Version Gültigkeit. Irgendwann führte mich das Schicksal direkt in die Oboenklasse von Ingo Goritzki: ein schlanker, sympathischer Mann von ruhigem Temperament, dessen Worte umso mehr an Bedeutung gewinnen, wenn er seine Stimme senkt und der im Umgang mit seinen Studenten eine wundervolle Balance hält zwischen professioneller Distanz und väterlicher Fürsorge. Schnell war mir klar, daß ich meinen Lehrer gefunden hatte. Von Anfang an führten wir so etwas wie einen freundschaftlichen Disput um mögliche Fehler und Korrekturen im Mozart’schen Oboenkonzert, wobei er, der Ältere und Erfahrenere, mir stets das Gefühl vermittelte, meine Einwände ernst zu nehmen. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis ist inzwischen eine Freundschaft geworden und noch immer ist Mozarts Oboenkonzert, von dem er unlängst eine revidierte Fassung publiziert hat, ein beliebtes Thema zwischen uns. Unsere Gespräche waren der Ausgangspunkt meiner Ideen einer eigenen Rekonstruktion. Und da Ingo Goritzki quasi mein Mentor für diese Aufnahme ist, bin ich natürlich schon sehr gespannt, wie er sie findet …

 

‘Amuse geule’: W.A. Mozarts Violinkonzert (Nr. 7) D-Dur KV 271a/i

 

Kennen Sie Tschaikowskys grandioses Oboenkonzert Nr.1 b-Moll? Nein? Dann vielleicht Beethovens Oboenkonzert D-Dur op.61 oder Schumanns in a-Moll op.129? Kennen Sie nicht, beziehungsweise als Klavier-, Violin- und Cellokonzert? Geht mir genauso – leider! Doch wie kann es sein, daß so viele große alte Meister der Oboe immer wieder die schönsten Melodien in die Orchesterstimme schrieben, ihr aber ein Solokonzert versagten? Über das Violinkonzert von Johannes Brahms heißt es, sein Zeitgenosse, der Geiger Pablo de Sarasate, lehnte es ab, weil er während des Adagios nicht mit der Geige in der Hand zuhören wollte, wie die Oboe die einzige Melodie des Stückes blase. Daß Brahms dies nicht als Aufforderung sah, ein Oboenkonzert zu schreiben, grenzt an eine künstlerische Unterlassungssünde.

 

Man könnte folgern, daß Oboisten fast gezwungen sind, sich an anderen Werken großer Meister schadlos zu halten. Natürlich eignet sich nicht jedes Opus für eine Bearbeitung, und die eingangs erwähnten allemal nicht. Andererseits wird heute gerne außer Acht gelassen, daß beliebte Werke zu Mozarts Zeiten etwa selbstverständlich bearbeitet wurden, je nach Bedarf des Ensembles, des Anlasses oder einer räumlichen Gegebenheit. Das trug zur Verbreitung eines Stückes bei und bewies Akzeptanz und Nachfrage. Erlaubt war, was gefiel; damals durfte Musik Spaß machen. Siegel wie Unantastbarkeit und Authentizität wurden ihr erst viel später übergestreift und haben ihren Teil dazu beigetragen, daß aus einer lebendigen Tonsprache eine Art musikalisches Latein zu werden droht. Dabei können wir im Grunde nur mutmaßen, wie die Musik früher geklungen hat und es ist von begrenzter Relevanz, weil wir heute Musik anders hören. Es hat sein Gutes, nicht alles über ein Stück zu wissen. So bei dem Mozart zugeschriebenen Violinkonzert KV 271a/i. Die Orchesterstimme wird wohl größtenteils von ihm stammen, die Solostimme – zumindest in der uns vorliegenden Version – höchstwahrscheinlich nicht. Wenn aber bereits eine – vermutlich unechte – Solostimme für Violine existiert, nimmt das Werk dann wirklich Schaden, wenn es eine weitere Solostimme, für die Oboe, erhält?

 

Claudio Abbado und ich haben lange an dem Repertoire für die CD gefeilt. Immer wieder brachte er das Violinkonzert ins Spiel. Man muß dazu wissen, daß Claudio Deutsch mit einer äußerst charmanten Italianitá spricht. Seine Hypothese “Wäre möglich, war vielleicht Oboenkonzert” schließlich entzündete meinen Enthusiasmus, schon weil der Ausspruch alte Erinnerungen wachrief. Eine Zeit lang war sein ,Wäre möglich´, mit dem fast jeder Satz begann, quasi ein ,running gag´ bei den Philharmonikern. Claudio wußte davon und revanchierte sich eines Tages mit einer Einladung, ,seine neue Frau´ kennenzulernen. Niemand kannte die Auserwählte und wir fragten neugierig, wer sie denn sei. “Vera”, kam als knappe Antwort, “Vera Möglich”. Dann konnte er das Lachen allerdings nicht mehr unterdrücken – und wir natürlich auch nicht.

 

Ludwig August Lebrun: Oboenkonzert Nr. 1 d-Moll

 

Die Welt ist voller Reisewut
Indes zu Haus der Weise ruht.

 

Nach Eugen Roths Maßstäben steht es wohl nicht zum Besten mit der Weisheit vieler Musiker, denn Reisen gehört zu ihrem Beruf. Mozart beispielsweise war von frühester Kindheit an regelmäßig unterwegs. Wenn ich mir überlegen, wieviel Lebenszeit er in schlecht gefederten Kutschen auf holprigen Straßen verbracht haben muß, fangen meine Bandscheiben an zu schmerzen. Dabei liebe ich es zu reisen, fremde Länder zu sehen, ihre Menschen kennenzulernen, andere Speisen zu probieren. Und es ist ja heutzutage so bequem: man steigt in ein Flugzeug, setzt sich hin, schläft ein und nach dem Aufwachen ist man am anderen Ende der Welt. Selbst mit dem Gefühl, ein Teil des Gehirns hinge noch in einer anderen Zeitzone fest, stehen alle Sensoren auf ‘Input’.

 

Zu Mozarts Zeiten war Reisen weniger komfortabel aber unerläßlich, wollte man als Musiker erfolgreich sein. Ludwig August Lebrun, ein Zeitgenosse Mozarts, teilte dieses Schicksal, wenngleich das und die fast übereinstimmenden Lebensdaten der beiden zwei der wenigen Parallelen darstellen. Lebrun, in Mannheim geboren und aufgewachsen, wurde früh Mitglied der dortigen pfalzbayerischen Kapelle. Geldsorgen kannte er nicht; er blieb sein Leben lang in dieser Anstellung, sogar als er nur noch auf Konzertreisen unterwegs war. Es ist möglich, daß er Mozart in Mannheim begegnet ist, und wahrscheinlich, daß er dessen Oboenkonzert kannte. Lebrun starb – wie es heißt – ganz überraschend 1790 unterwegs in Berlin; woran, ist nicht bekannt.

 

Was für ein Künstlerleben: Einst hat Europa ihm, dem berühmtesten Oboenvirtuosen seiner Zeit, zu Füßen gelegen. Er “bezauberte mit seiner göttlichen Oboe”, so beschrieb es ein Kritiker und nannte seine Kompositionen “süße Tropfen von Nektar”. Heute sind von den angeblich 14 komponierten Oboenkonzerte, sechs noch bekannt und vier als Noten erhältlich; von Konzertveranstaltern angefragt, wird bestenfalls das erste.

 

Was aus heutiger Sicht bemerkenswert ist: Lebrun tourte, wie alle Kollegen zu, vor und nach seiner Zeit, fast ausschließlich mit – im wahrsten Sinne des Wortes – ‘zeitgenössischer’ Musik. Orchester spielten bisweilen Werke bei denen die Tinte in der Partitur noch nicht ganz trocken war.

 

Einer der großen Oboisten unserer Zeit ist Maurice Borgue, bei dem ich das Glück hatte, außergewöhnlich inspirierenden Unterricht zu genießen und dem ich musikalisch viel verdanke. Auch er ist natürlich durch die ganze Welt gereist und hat überall große Erfolge gefeiert. Und dennoch ist er in meiner Erinnerung eher der Weise, der ruhende Pol ‘zu Hause’ in Paris, wo er in seinen Kursen den angereisten Studenten Einblicke in sein geradezu universales Wissen gewährte. Bei Eugen Roth heißt das:

 

Und die oft weltfremd nur geschienen
Die Welt kam – umgekehrt – zu ihnen.

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