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Dietrich Fischer-Dieskau
Dietrich Fischer-Dieskau

Fest der Stimme

27.05.2005

Am 28. Mai feiert Dietrich Fischer-Dieskau seinen 80. Geburtstag. Viele Ständchen und Ehrungen sind ihm in den vergangenen Wochen bereits zugedacht worden. Als besondere Verneigung vor seiner Kunst hat die Deutsche Grammophon tief ins Archiv der langjährigen Zusammenarbeit gegriffen und eine Best-Of-Zusammenstellung von Fischer-Dieskaus größten Aufnahmen gestaltet – soweit das bei einem Künstler seines Formats überhaupt auf nur 2 CDs und einer DVD möglich ist. Jedenfalls schöpft An die Musik aus den Vollen und kann nahtlos wunderbare Stimmkreationen eines genialen Interpreten vom Schubert-Lied bis zur Wagner-Arie aneinander reihen, die jede für sich ein Meisterwerk darstellen.

Dietrich Fischer-Dieskau ist während seines langen Künstlerlebens viel gelobt, aber auch immer wieder kritisiert worden. Was den einen als besondere Qualität seiner Interpretationen galt – die ungeheurere Präzision der Ausführung, die reflektierte, Sinnzusammenhänge bedenkende Repertoiregestaltung, die stilistische Vielfalt und gestalterische Brillanz – war den anderen gerade ein Dorn im Auge. Denn eines war immer klar: Fischer-Dieskau machte keine Zugeständnisse. Für ihn stand von jungen Jahren an die Musik im Vordergrund und nicht ein vermeintliches Publikumsinteresse, das doch nur geschmäcklerisch sein konnte. Deshalb verlangte er seinen Hörern Konzentration ab, gestaltete beispielsweise Liederabende nicht nach Effekten, sondern nach Maßgabe der Vollständigkeit und inhaltlichen Stringenz.

 

“Wer den Intellekt gesangsfeindlich schilt, verachtet Denken ebenso wie sicher geleitetes Tun, das über den Durchschnitt hinaus will”, schrieb Fischer-Dieskau 1985 in dem Essay “Vom Sänger als Interpreten” und fügte hinzu: “Es ist ein absichtsvolles und zielstrebiges Wollen, das die teleologischen Strukturzusammenhänge ausmacht, zugleich aber den Sinn des Künstlerischen an sich. Zum Künstler, der formt und ein Werk tiefer erschließt, gehört ein Anteil von Wissen, der im Augenblick der Interpretation möglicherweise vergessen werden darf, auf den aber bei der Erarbeitung der Darstellung nicht zu verzichten ist. […] Für den Sänger kann die Musik erst dann sie selbst sein, wenn er sie in ihren immanenten Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten wahrgenommen und geprüft hat. Sie ist nicht Anlass zu folgenloser Unterhaltung”.

 

Was nicht heißt, dass sie nicht unterhalten darf. Aber der Moment des vokalen Entertainments ist eben nur zweit- oder gar drittrangig, je nachdem, welche Bedeutung der Komponist selbst ihm zugewiesen hat. Erstaunlich und wohlmöglich der Kern seiner Kunst ist bei Fischer-Dieskau die Verknüpfung von unmittelbarer, ehrlich empfundener Emotion und der profunden Reflexion über den besonderen Gehalt eines jeden Stückes. Musik hat bei ihm Bedeutung, sie steht im Verhältnis zur Zeit, zum Text, zur Entstehung, zum Aüßerungskontext, natürlich zur eigenen Person und wird auf diese Weise weit über das hinaus gehoben, was eine Interpretation bei weniger nachhaltigen Künstlern ausmacht. Und sie ist Anlass für zahlreiche Erinnerungen, die Fischer-Dieskau in einem von Klassikakzente geführten Interview mit der ihm eigenen Nonchalance erzählt (vollständiges Interview am Ende des Features).

Ob er nun unter freiem Himmel im norditalienischen Kriegsgefangenenlager, in den großen Opernhäusern der Kulturwelt oder auch den kleinen Sälen der von ihm mit neuer Kraft gefüllten Liedkunst seine Stücke vortrug, immer blieb die Musik an sich als Wert und als persönliche Aussage im Zentrum des Interesses. So entstand ein erfülltes Werk, auf das Fischer-Dieskau mehr als stolz sein kann, das das Leben vieler Menschen begleitet und geprägt hat und von dem einige besonders glänzende Ausschnitte auf der DVD/CD An die Musik festgehalten sind. Etwa das Schubert-Recital mit Sviatoslav Richter am Klavier, das im Schloss Ismaning 1978 glücklicherweise von Fernsehkameras festgehalten wurde und nun auf DVD wieder zu erleben ist. Oder die wunderbaren Lieder von Schubert, Schumann, Brahms, Hugo Wolf, Othmar Schoen, Mahler, Debussy, Liszt und Strauss, von denen ein Querschnitt mit Koryphäen wie Jörg Demus, Gerald Moore, Daniel Barenboim, Wolfgang Sawallisch, Karl Engel, Margit Weber und Herta Klust am Klavier wieder zu erleben ist. Oder natürlich die berühmten Aufnahmen des “Tannhäusers”, der “Meistersinger”, des “Don Giovanni”, der “Zauberflöte” oder auch der vier “Rückert-Lieder”, die ihn mit Maestros wie Otto Gerdes, Eugen Jochum, Ferenc Fricsay und Karl Böhn zusammenbrachten. All das sind Zeugnisse eines bewegten, bewegenden Künstlerlebens, das mit An die Musik aus vollem Herzen gefeiert werden darf.

 



Dietrich Fischer-Dieskau feiert am 28. Mai seinen 80. Geburtstag. Aus deisem Anlaß besuchte KlassikAkzente den Meistersinger in seiner Berliner Wohnung zum Gespräch und konfrontierte ihn mit berühmten Zitaten, die sein (Bühnen-)Leben bestimmt hatten…

 

“Tutto nel mondo è burla!” (Giuseppe Verdi, Falstaff)

Das war der Abschied von Wolfgang Sawallisch in München, und da haben wir nicht nur Verdis “Falstaff”, sondern auch das Finale/2. Akt aus Mozarts “Così fan tutte”. Meine Frau, Julia Varady, war auch mit von der Partie und hat dort, übrigens zum ersten und einzigen Mal die Rolle der Alice Ford übernommen und hat dadurch dem Ganzen noch ein besonders schönes Licht aufgesetzt. Und Sie werden es kaum glauben, genau während dieser Fuge ist mir der Gedanke gekommen: Heute hörst Du auf, heute ist der letzte Auftritt! Wahrscheinlich war es das Wort burla, das man ja mit Spaß, auch mit Torheit übersetzen kann, in Wirklichkeit aber eigentlich so viel wie: “etwas hüft über etwas hinweg” bedeutet. Und das ist doch eine herrliche Sache, genau damit aufzuhören?!

 

“Verachtet mir die Meister nicht und ehrt ihre Kunst!” (Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg)

Hier gehen meine Erinnerungen ganz, ganz weit zurück. Da war ich gerade mal 17 ganze Jahre alt, noch auf der Schule. Mein erster Lehrer hieß Georg A. Walter, ein berühmter Evangelist unter den Sängern. Der organisierte ein Schülerkonzert im Meistersaal in Berlin und wollte unbedingt, dass ich am Schluss dieses Konzertes die Schlussansprache aus den “Meistersingern von Nürnberg” vortrage. Für einen 17jährigen ein vollkommener Wahnsinn! Aber ich war damals frech und munter und habe gedacht: das mache ich. Und also habe ich es da zum ersten Mal gesungen. Und dann immer mal wieder als einzelnes Stück. Dann kam hier in Berlin endlich, in den 70er, 80er Jahren eine Inszenierung der “Meistersinger” von Peter Beauvais – übrigens eine der ersten Operninszenierungen unter einem Filmregisseur, was seitdem ja ziemlich in Mode gekommen ist…! – nur zeichnete sich Peter Beauvais vor anderen Filmregisseuren dadurch aus, das er das Stück auswendig kannte, Silbe für Silbe und Note für Note. Längst, bevor ich es auswendig konnte! Ich kam zur ersten Stellprobe und war noch keineswegs fertig mit dem Vorstudium, während Beauvais mir sozusagen soufflieren konnte! Das verbindet sich mir damit, und schließlich kam danach in München die wunderschöne Everding-Inszenierung, mit Sawallisch am Pult. Das war allerdings eine Produktion mit Hindernissen, insofern man da einen neuartigen Scheinwerfer verwendet hatte, den es bis dato noch gar nicht gab. Der war so stark – stärker als die natürliche Sonne gewesen wäre, nach meinem Empfinden, und das begann in der Schusterstube und blieb so bis zum Schluss, also gute 2 Stunden! Es wurde unheimlich heiß und man musste schon höllisch aufpassen, dass der Hals nicht vollkommen austrocknete…

 

“Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus…” (Franz Schubert, Die Winterreise)

Zum ersten Mal habe ich das öffentlich 1943 im Zehlendorfer Rathaus, auf den Tag genau 10 Jahre nach der sogenannten “Machtergreifung” gesungen. Es handelt sich ja um das Eingangslied aus der “Winterreise”, ähnlich einer Ouvertüre, die alles, was vor dem eigentlichen Zyklus passiert ist, schildert; danach kommt an Handlung ja eigentlich nichts mehr, es sind nurmehr 24 Stationen der Leidenschaft, Trauer und Verzweiflung. Und die eigentliche Geschichte ist jedoch bereits angedeutet in diesem ersten Gedicht. Damals gab es jedenfalls während dieser “Winterreise” einen irrsinnigen Bombenangriff, wir mussten aufhören, das gesamte Publikum und auch ich gingen in den Keller, warteten 2 _ Stunden und dem Ende des Bombardements sind wir wieder hinaufgestiegen und haben weitergemacht. Das verbindet sich für mich zuallererst einmal mit diesem Zitat… und natürlich habe ich es dann wahnsinnig oft gesungen. Schon deshalb, weil es unglaublich reicher Zyklus ist, und bemerkenswerterweise dadurch so reich, weil so viel weggelassen wurde. Schubert hat hier nicht eine Note zuviel komponiert, nicht eine Zutat, die andere Komponisten mit Sicherheit so an bildhaften Elementen dazukomponiert hätten.. “Die Winterreise” ist ein Meisterwerk der Auslassung…

 

“Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist.” (Richard Strauss, Die schweigsame Frau)

Also für mich gilt dieser Satz nicht! Im Gegenteil!, wenn ich eine wirklich gute Premiere hinter mir hatte, oder ein gelungenes Konzert, kam ein Gefühl der Leere und des Durstes und die Frage: wie kann ich jetzt eigentlich weitermachen??!! Aber so geht es mir auch beim Schauspiel, wenn man eine große Premiere gesehen hatte, nach wochenlangem Proben, dann wollen sie eigentlich überhaupt nicht mehr aufhören! So ging’s mir auch immer…

 

“Wahn, Wahn, überall Wahn!” (Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg)

Das ist vielleicht die Seite des Hans Sachs, die nicht genügend berücksichtigt wird bei der Konzeption der Figur. Und da ist ja auch die Schwierigkeit der Tessitura! Wagner sieht hier nämlich einen hohen Bass vor für diese Partie. Dieser hohe Bass hat normalerweise in der Höhe ein etwas dickliches Organ und kann oben nicht sehr flexibel singen… nicht sehr schlank in der Tongebung. Während ich ein Bariton bin, der nach unten erst einmal fünf Stunden lang denken muss, also genau der umgekehrte Fall… mir fielen also die Zwischentöne leicht, was für mich auch den Reiz dieser großen Partie ausgemacht hat. Und das kommt eben besonders in diesem Monolog zum Tragen…

 

“Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding…” (Richard Strauss, Der Rosenkavalier)

Tja, da ist natürlich Elisabeth Schwarzkopf unvergesslich, hier in diesem Monolog der Marschallin. Das ist vielleicht textlich die schönste Stelle aus dem “Rosenkavalier”, würde ich denken. Es gab ja mal eine Bühnenaufführung ohne Musik, wo dieser Monolog von Käthe Gold gesprochen wurde… und das war damals auch eine tolle Leistung, mit Qualtinger als Ochs auf Lerchenau. Es ist eine sehr, sehr nachdenkliche Stelle, bevor es dann ja noch lebendig genug zugeht in dieser Oper!

 

“Was ist denn Musik? Musik ist eine heilige Kunst…” (Richard Strauss, Ariadne auf Naxos)

Das stammt ja aus dem Vorspiel zur “Ariadne”, und ich habe diese Oper gemeinsam mit meiner Frau studiert. Diese Stelle in dem nachkomponierten Vorspiel zur eigentlichen Oper. Ursprünglich gab es da die Musik zu Molieres Komödie “Der Bürger als Edelmann”, zu der Strauss eine wunderbare Musik komponiert hat, deren Suite ich gern dirigiert habe… und nachdem man gemerkt hatte, dass das ursprüngliche Konzept: erst Schauspiel, dann Oper nicht sehr glücklich war, hat man sich auf Anraten von Max von Schillings dazu entschlossen, auch den ersten Teil als Oper zu geben. Und dadurch wurde es dann zu dieser Oper mit Vorspiel. Und im Vorspiel sieht man eben, was alles in der Vorbereitung zu dieser Oper hinter der Bühne passiert. Und da bekommt der Komponist gegen Ende des Vorspiels die Gelegenheit, etwas zu sagen, was Hofmannstahl am Herzen lag zum Thema Musik… eben genau das, was dieses Zitat ausdrückt…

 

Zum Schluss noch eine Bitte: welche Ihrer zahlreichen Aufnahmen sind für Sie persönlich die wichtigsten?

Ach du lieber Gott, das ist nicht so einfach, wie Sie sich vorstellen können: Wichtig waren für mich schon die Gesamtaufnahme der Schubert-Lieder mit Gerald Moore mit der Deutschen Grammophon. Als man mich damals fragte, dachte ich, wer will denn alles von Schubert hören??? Wer kauft das alles und hört es sich dann auch an? Und dann kam der bereits todkranke Gerald Moore immer nach Berlin geflogen und begleitete mich nach seinem offiziellen Bühnenabschied auf dieser Edition. Heute sehe ich es so, dass es kein einziges Lied von Schubert gibt, aus dem man nicht das eine oder andere lernen könnte! Aber auch die Italienischen Arien mit Ferenc Fricsay zum Beispiel, auch auf Deutsche Grammophon, waren für mich bedeutsam, weil ich vieles davon bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal gesungen habe. Und Fricsay hatte enorm viel Ahnung, wie man Sachen singt – er hatte ja übrigens selbst auch eine sehr hübsche Tenorstimme!, und hat mir alle möglichen Kleinigkeiten gesagt, die man hervorragend nutzen konnte. Und ich habe sie auch treu angewendet und er hat sich wahnsinnig darüber gefreut!

 

Und welche Aufnahme(n) würden Sie einem Fischer-Dieskau-Einsteiger ans Herz legen?

Vielleicht zwei von den “Winterreisen”, eine ganz alte und eine ganz neue, und dann beobachten, wie sich eine inhaltliche Konzeption, eine Konstitution der Stimme entwickelt, wie sich also die Physis und die Psyche bei solch einem Projekt im Laufe von dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren verändern kann… Das ist womöglich etwas abenteuerlich, erfordert auch Geduld und richtiges Sich-Hineinversetzen. Oder aber die Brahms-Gesamtaufnahme mit Daniel Barenboim, das wäre auch eine Möglichkeit des “Einstiegs”, wobei hier die Qualität des Gesanges teilweise an die Schönheit des Klavierspiels gar nicht heranreicht, würde ich sagen. Das lohnt sich also schon der Begleitung wegen…

 

Wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch und wünschen Dietrich Fischer-Dieskau alles Gute zum 80. Geburtstag!

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FISCHER-DIESKAU An die Musik
4. Mai 2005

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