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Leonard Bernstein
Leonard Bernstein

Kraft der Begeisterung

08.08.2007

Es war immer ein Genuss, Leonard Bernstein bei der Arbeit zuzusehen. Denn er war kein Maestro im Sinne distanzierter Meisterschaft, sondern ein Überzeugungs- täter am Pult. “Ein großer Dirigent”, meinte er während seiner “Omibus”-Sendungen in den Fünzigern, “muss seine Musiker anfeuern, begeistern, ihren Adrenalinspiegel anheben, durch Lob, Forderungen oder Wutanfälle. Er muss bewirken, dass sie die Musik ebenso lieben wie er selbst, und sein Gefühl ausstrahlen lassen, so dass es noch die letzte Reihe der zweiten Geigen erreicht”. Das galt für die Interpretation aller Komponisten, im Besonderen aber für Johannes Brahms, mit dem Bernstein von frühen Jahren an ein besonderes künsterlisches Verhältnis verband. Als der Geburtstag des Romantikers sich 1983 zum 150. Mal jährte, setzten Bernstein und die Wiener Philharmoniker sich daher intensiv mit dem symphonischen Werk von Brahms auseinander. Und im Anschluss daran verwirklichte der Dirigent noch eine Einspielung der beiden Klavierkonzerte mit Krystian Zimerman als Solist – eine Aufnahme, die längst zu der Highlights ihrer Art gehört und die nun als DVD nachzuvollziehen ist.

Bernsteins Kunst bestand nicht nur im Dirigieren und Komponieren, sondern auch im Vermitteln seiner Ideen an ein großes Publikum. Als einer der ersten Pultstars nützte er konsequent die Möglichkeiten, die ihm vor allem das boomende Fernsehen bot, um beständig Werbung für die Kunst zu machen. Er war als Pädagoge ebenso aktiv wie als Botschafter des klassischen Geschmacks, blickte neugierig nach allen Seiten über die Mauern seines Business und schaffte es auf diese Weise, viele Menschen zu erreichen, die sonst für die von ihm verehrte Musik wenig Interesse entwickelt hätten. So auch im Fall von Brahms. Als er Anfang der Achtziger gebeten wurde, sich gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern mit Brahms zu beschäftigten, rief er das renommierte Orchester nicht nur zu zahlreichen Proben zusammen, sondern reflektierte auch publizistisch den Vorgang der Beschäftigung mit dem Werk des klassischen Romantikers. Sein Fazit war ebenso pointiert wie eindeutig: “Mein Kopf ist voll von Brahms, voll von Fragen über ihn, auf die ich meist nur durch seine Musik eine Antwort finden kann”. Und er denkt sich konsequent voran: “Nehmen wir zum Beispiel den letzten Satz seiner Vierten Symphonie in e-moll, der glorreichen Krönung seines symphonischen Schaffens. Welch ein leidenschaftlicher Zorn in den ersten acht Takten, welch eine rasante Verzweiflung! Und trotzdem ist dieser letzte Satz – Brahms' Vermächtnis und letzter Wille – seine formal wohl am strengsten durchorganisierte Komposition. Finden sie das nicht auch außerordentlich paradox: Zorn und Ordnung in einem? Aber gerade dieser Widerspruch zeigt uns die Doppelnatur von Johannes Brahms”.
 
Bernsteins Verhältnis zur Musik war trotz aller Analyse zunächst einmal organisch und intuitiv. Er wollte Klang erlebbar machen, für sich selbst und die Zuhörer, die ihm folgten. Das wiederum setzte voraus, dass er eine Komponisten auch als Mensch verstand, dessen individuelle Auseinandersetzungen sich in der Musik wieder spiegelten. Im Falle von Brahms kam er zu den Schluss: “Er war genial genug, um sein eigener Psychiater zu sein – unbewusst natürlich. Er machte sich selbst zum Wächter über die musikalische Ordnung in einer Ära romantischer Unordnung, aber in Wirklichkeit musste er Wächter sein über seine eigenen Gefühle, über die Konflikte, die ihn zu zerreißen drohten. Deshalb ‘erfand’ er jene Persönlichkeit – mit Bart, Bauch und allem -, die den Menschen damals so vertraut war wie uns heute. Diese erstaunliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung rettete wahrscheinlich sein Leben, seine geistige und seelische Gesundheit und die begnadete Kraft, mit seiner Musik die Welt zu bereichern und zu adeln.”
 
Um sie nachvollziehbar zu machen, brauchte es jedoch von jeher herausragende Dirigenten, die ihr Ensemble fesseln konnten. Bei Brahms kam im Besonderen die Verbundenheit Bernsteins mit den Wiener Philharmonikern zum Tragen, denn er hatte sie zu einem seiner Lieblingsorchester auserkoren. Während der 24 gemeinsamen Jahre spielten sie gemeinsam 197 Konzerte und waren auf diese Weise maßgeblich an der Umsetzung des mittleren und späten Stils des Dirigenten beteiligt, der noch mehr noch als die ersten Perioden von der Betonung der Individualität zehrte. Kritiker sprachen bei manchen seiner Symphonie-Aufführungen von “Konzerten für Dirigent und Orchester”, ein Bonmot, das Bernsteins Rolle am Pult verdeutlichte. Hinzu kam die Verbundenheit von Bernstein mit dem polnischen Pianisten Krystian Zimerman, der vor allem in den späten Jahren zu den wenigen Klavierkünstlern zählte, mit denen der Dirigent öffentlich arbeiteten – ein symbiotisches Verhältnis, das im Fall der Klavierkonzerte besondere Ergebnisse hervorbrachte.
 
Schließlich sprengte Johannes Brahms in vieler Hinsicht den Rahmen. Sein erstes Klavierkonzert, das er im Januar 1859 eigenhändig in Hannover uraufführte, passte kaum noch in den Rahmen der bis dato gewohnten Konvention. Es war weitaus länger als üblich, voll von dunklen Farben, scharfen Kontrasten auf der einen und sanften, intimen Motiven auf der anderen Seite. Der Komponist hatte es sich in einem zähen Kampf mit den Ansprüchen an sein Künstlertum entrungen, hatte zunächst als Sonate damit begonnen, dann als Sinfonie daran weiter gearbeitet, um schließlich nach mehr als vier Jahren eine endgültige Form gefunden zu haben. Dementsprechend vielschichtig zeigte es sich den Hörern, voll von ungewohnten Stellungnahmen zur Musik, die nur noch wenig mit der Unverbindlichkeit des großbürgerlich-aristokratischen Konzertvirtuosentums zu tun hatte.

Hier offenbarte einer seine inneren Auseinandersetzungen, angefangen beim Schock über Robert Schumanns Selbstmordversuch von 1854, der den Freund des romantischen Genies und von dessen faszinierender Frau deutlich mitnahm, bis hin zu den Zweifeln an der geeigneten Ausdrucksform an sich, die einer flüssigen Komposition im Wegen standen. Schließlich musste er auch noch erleben, wie die Kritik, die mit diesen inneren Kämpfen wenig anfangen konnte, das Werk in die Tonne trat und ihm ein “Würgen und Wühlen, ein Zerren und Ziehen” bescheinigte, das vor allem langweile. Natürlich wurde dieses Urteil mit den Jahren revidiert. Denn das erste Klavierkonzert von Brahms war schlicht seiner Zeit voraus und es erfordert noch heute mehr Auseinandersetzung als vergleichbare Werke. Dagegen wirkt das 1881 komponierte “Klavierkonzert Nr.2, op. 83” wie ein symphonisches Stück mit prävalidiertem Klavier, hell und heiter, von den ersten romantischen Horntönen an, die den ersten Satz eröffnen. In der Kombination Bernstein, Wiener Philharmoniker und Zimerman werden sie beide zu famosen Klangerlebnissen, die Zuhörer wie Zuseher in ihren Bann schlagen.

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