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John Eliot Gardiner
John Eliot Gardiner

Der Mann mit der Leier

07.06.2002

Wirbelnde Pauken und schmetternde Trompeten, Geigen klettern in großer Geschwindigkeit über die Tonleitern. Womöglich ist das ein rauschendes Fest bei Hofe?

Nein, es ist Oper. Was hier rauscht ist lediglich der Vorhang der Opernbühne, der sich gerade öffnet. Und weil Oper von dramatischen Kontrasten lebt, ist nach wenigen Sekunden auch schon Schluss mit der Ausgelassenheit.

 

Die “English Baroque Soloists” unter Sir John Eliot Gardiner hören auf zu schmettern und zu wirbeln. Singende Nymphen und Hirten, die man im ländlichen, antiken Griechenland, immer da antrifft, wo die Liebe hinfällt, beklagen den Tod Euridices. Hierfür erfindet der Oberpfälzer Christoph Willibald Gluck einen etwa so ergreifenden Trauergesang, wie 30 Jahre später Mozart in seinem schauerlich-schönen “Lacrimosa”.

 

Der Countertenor Derek Lee Ragin tritt nun als Orfeo dazu und seufzt seinen Schmerz über den Verlust der Geliebten mit dramatischem Volumen in die pietätsvollen Atempausen des “Monteverdi Choir”.

 

Doch der Tod ist hier nicht das unerbitterliche Ende. Mit ihm lässt sich kämpfen, wenn Liebe, die sich in Musik ausdrückt, die Waffe ist. Orfeo spielt nämlich nicht nur Leier, sondern verfügt auch über eine wundersame Stimmgewalt, mit der er Mensch und Tier in seinen Bann ziehen und sogar gefühllose Steine bewegen kann. Auf Anraten von Amor will er sich in die Unterwelt begeben, um dort seine Euridice aus den Fängen der Schattengeister und Furien zu befreien.

 

Die großartige Cyndia Sieden, die als “Königin der Nacht” in Mozarts “Zauberflöte” unlängst die Opernszene begeisterte, kann sich auch mit der kleineren Rolle des Liebesgottes bescheiden. Mit jugendlichem Charme erklärt sie Orfeo in ihrer Arie “Gli sguardi trattieni”, dass dieser seiner Geliebten nicht eher in die Augen sehen oder sie gar umarmen dürfe, bis er mit ihr die irdische Welt erreicht habe. Andernfalls sei sie endgültig verloren.

 

Wer die betörende Stimme von Ragin hört versteht sofort, dass der Weg ins Reich der Toten und die Befreiung Euridices mit einer solchen Wunderwaffe nicht schwer sein kann. Endlich erscheint Euridice, gesungen von Sylvia McNair. Diese Sopranistin hat die aufregende Begabung, wenn es nötig ist, den Charakter ihrer Stimme innerhalb einer Silbe völlig ungekünstelt umschlagen zu lassen. Bei den dramatischen Rezitativen, die sich nahezu taktweise mit liebessüchtigen Duetten abwechseln ist genau dies nötig, und es entstehen Dialoge von beeindruckender rhetorischer Wendigkeit.

 

Die Spannung steigt und es kommt wie es kommen muß: Euridice, die von der Warnung Amors nichts weiß, kann Orfeos Verhalten nicht deuten. Schließlich lässt sich dieser hinreißen und blickt sie an – sie fällt auf der Stelle tot zu Boden.

 

Wer zweimal stirbt, dem glaubt man nicht? Orfeo jedenfalls scheint es diesmal nicht so schwer zu nehmen. Die Arie, in der er den erneuten Verlust beklagt, ist dem Herrn Gluck vielleicht etwas zu schön geraten. Dass es ihm dennoch ernst ist, zeigt sich im nächsten Rezitativ: der verzweifelte Wundersänger will sich umbringen. Doch daraus wird nichts. Die beglückende Stimme von Cyndia Sieden vertreibt auch Orfeos Depression, zumal sie ihm mit der göttlichen Autorität Amors Euridices Wiederkehr zu den Lebenden verspricht. In dessen Tempel feiern schließlich alle gemeinsam das Happy End als eine Huldigung an jene Kraft der Musik, die selbst Steine erweicht.

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