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John Eliot Gardiner
John Eliot Gardiner

Grenzfall

17.01.2003

Es ist der Stoff, aus dem Tragödien sind. Orpheus, der seine Frau Euridike verloren hat, zieht durch die Unterwelt, um sie wiederzuerwecken und scheitert zunächst an der eigenen Liebe. Erst ein Kunstgriff des Librettisten bringt die beiden schließlich doch zusammen. Für Christoph Willibald Gluck jedenfalls stand “Orfeo ed Euridice” am Wendepunkt der eigenen Komponistenidentität, die vom Geist des Barocks zu den Ideen der schwelenden Aufklärung überzugehen begann.

In “Orfeo ed Euridice” kam vieles zusammen. Da war zum einen der unmittelbare Anlass der Aufführung, der Geburtstag des Kaisers in Wien anno 1762. Obwohl das Jubeldatum eine Lobeshymne erwarten ließ, lieferte der Hofkomponist Gluck eine finstere mythologische Geschichte über Leidenschaften, Liebe und die Freiheit des einzelnen ab. Aufgeführt wurde sie mit einer Choreographie von Gasparo Angiolinis, einer der führenden Tänzer seiner Epoche und ein glühender Verfechter des individuellen Ausdrucks. Das Werk, das der Komponist selbst als “azione teatrale” kennzeichnete, wiederum basierte auf einer Vorlage Raniero de Calzabigis, die nicht mehr den bislang vorherrschenden Rollenspielen der italienischen Oper entsprach. Der begabte Dichter, Librettist und langjährige Textlieferant Glucks trat für die Wiederbesinnung auf antike Tragödienformen ein, die sich von den Tändeleien des Höfischen distanzierten und große Affekte, starke Gefühle, folglich ebenso markante Charaktere auf der Bühne forderten.

 

Gluck selbst schließlich trug diesen aufklärerischen Gedanken, die den Menschen in den Folgejahren auch philosophisch fundiert und realpolitisch spürbar aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit entlassen sollten, mit einer musikalischen Gestaltung Rechnung, die die strengen Formalia der Oper aufgab und die einzelne Arie wie auch die flexiblen dramatischen Handlungsträger wie Chor und Orchester neu im klanglichen Gefüge positionierte, bis hin zu einer fröhlichen Overtura, die zwar mit dem ebenfalls heiteren Schluss sich verband, ansonsten aber von den Totenklage den Anschlussszenen eher fortleitete.

 

In jedem Fall markiert “Orfeo ed Euridice” einen Wendepunkt in der Musikgeschichte. Mit diesem Werk fand die klassische und romantische Handlungsoper bis hin zu Richard Wagner ihren Ausgangspunkt. Es hat seine Bedeutung als Markstein der Entwicklung, hat aber auch als musikalisches Denkmal kompositorischer Größe und gehört bis heute zum festen Bestandteil der Repertoireplanung großer Opernhäuser.

 

Für die Compact Opera Collection fanden sich im Mai 1991 in der Londoner Henry Wood Hall die English Baroque Solists unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner und der Monteverdi Choir ein, um gemeinsam mit den Solisten Sylvia McNair (Euridice), Derek Lee Ragin (Orfeo) und Cyndia Sieden als Amore den Leidensweg und Freudentaumel des geplagten Halbgottes nachzuempfinden. Es entstand eine Aufnahme von ausgewogener Noblesse, die sowohl den tragischen, markanten Charakteren als auch den klangdramatischen Besonderheiten der Oper Rechnung trägt. Denn Gardiner verstand es, die Wiener Fassung von 1762 mit klarer Reflexion ohne neoromantischen Bombast umzusetzen und sich auf diese Weise direkt auf die historisch rekonstruierten Intentionen des Komponisten zu beziehen. Schließlich wollte auch Gluck den Vordergrund zugunsten des wahren Empfindens auf der Bühne überwinden. Und das gibt “Orfeo ed Euridice” eine Kraft, die noch nach beinahe zweieinhalb Jahrhunderten von einem Dirigenten wie Gardiner entfesselt werden kann.

 

Die Referenz:

 

“Genau das muß Gluck gewollt haben. Eine Musik, die im Sinne von Dramatik und Charakteren stark und ganz besonders wirkt. Ich bin sicher, daß er eine solche Aufführung genossen hätte.” (Gramophone 2/1994)

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