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Jahresrückblick 2010 (Teil 2/2) - Mit viel Elan gegen den Trend der kulturellen Verknappung

KlassikAkzente 2010 Teil 1/2
08.12.2010

Juli

Im Juli war es dann endlich soweit. Nachdem schon Geschichten kursierten über Popstar Sting, der sich nun in das orchestrale Fach wagen wollte, erschien mit „Symphonicities“ das bislang umfangreichste Projekt des agilen Sängers. Und es fand breiten Zuspruch, sowohl bei den Spezialisten wie auch bei den Fans des Meisters. Das Hifi-Magazin Stereoplay beispielsweise hob das Album auf den Thron der „Audiophilen CD des Monats“ und schrieb dazu: „Sting selbst wollte die verborgenen Ecken und Facetten seiner Songs finden, wie er meinte. Er ist fündig geworden: Fast alle Songs wirken wie Neukompositionen, begeistern mit Kraft und Musical-Dramatik, bis Stings heiser-geschmeidige Vocals ins Spiel kommen. Dabei nutzt er die Möglichkeiten des Orchesters, das bis in jedes Klangdetail natürlich und räumlich perfekt abgebildet wird, voll aus: ‘Roxanne’ etwa reißt den Hörer kinoleinwandbreit mit, nutzt viele Holzbläser, die ein neues Thema nach Art einer Fuge kontrapunktieren, bevor Bongos, Streicher-Pizzicati und Stings sanfte Stimme das Stück eine Oktave tiefer angreifen als früher. ‘We Work The Black Seam’ hingegen, fast nur mit den großen Blechbläsern intoniert, sorgt selbst bei Sommerhitze für Gänsehaut. Und sogar an den Groove-Pop von ‘She‘s Too Good For Me’ wagt sich das Orchester heran, diesmal aber mit Gitarre im Gepäck – schlichtweg eine Wucht! Mal dramatisch, mal sparsam, stets mitreißend: ‘Symphonicities’ ist ein zeitloses Alterswerk mit jugendlichem Drive – nicht nur für Sting-Fans“. Und Anika Täuschel meinte dazu in ihrer Rezension für den Bayerischen Rundfunk: „Es zeichnet große Musik aus, dass sie Bearbeitungen standhält, neue Interpreten duldet – auch Stings Lieder haben sich unter den Fingern Katia Labèques oder in den Kehlen Cassandra Wilsons und Johnny Cashs aufregend verändert. Dass sie auch unter seiner eigenen Regie und Stimme immer wieder neu entstehen, ist der Beweis für den großen Künstler: der sich die Besten aus allen Sparten als Partner auf die Bühne holt und mit ihnen neugierig in künstlerischen Dialog tritt.“

Im September dann präsentierte Sting das Programm ausführlich in der Berliner O2 World Arena und natürlich waren nicht nur ein großes Publikum, sondern auch die Kameras dabei. Es entstand die faszinierend unmittelbare Konzert-CD/DVD und Bluray „Sting – Live In Berlin“, in bestem Sound und mit so überzeugender Umsetzung, dass beispielsweise SWR1 nur kurz nach Erscheinen des Mitschnitts bereits meinte: „Sting mit eigenwillig besetzter, hervorragender Band inklusive Star-Saxofonist Branford Marsalis, dazu das sachdienlich aufspielende Royal Philharmonic Concert Orchestra, dazu ein Best of-Programm aus Sting-Hits, das Ganze im DVD/CD-Doppelpack – was soll da groß danebengehen? Antwort: absolut nix!“

Wo Sting durch Opulenz beeindruckte, da wagte sich die Geigerin Julia Fischer an ein Experiment. Sie spielte die „24 Capricen“ von Niccolò Paganini ein, auch um mit immenser Intensität dem Vorurteil der Musikkritik entgegen zu treten, der Geigenvirtuose des 19.Jahrhunderts sei vor allem ein Angeber gewesen. Die Botschaft kam an, bei spiegel.de etwa war dazu zu lesen: „Nach der tief seriösen Aufnahme der Bach-Konzerte mit der Academy-of-St.Martin-in-the-Fields aus dem letzten Jahr gönnt sie sich nun ein wenig Zirkuszauber mit den 24 ‘Caprices’ (Decca) von Niccolò Paganini (1782–1840), die der legendäre Stargeiger seinerzeit zum Spaß und zur Verblüffung des Publikums komponierte. Und natürlich, um seine grandiosen instrumentalen Fähigkeiten im bestem Licht erscheinen zu lassen. Ein ganze CD voller Bravourstücke: Das kann gefährlich an die Nerven gehen. Doch auch diese Hürde meistert Fischer souverän, nicht allein durch makellose Technik. Es gelingt ihr, den besonderen Charakter der einzelnen Kleinwerke herauszuarbeiten“. Und die österreichischen Kollegen von Die Presse fügten hinzu: „Wer die 24 brillanten Stücklein auf dieser CD in einem Zuge hört, erfährt viel mehr, als dass Fischer eine virtuose Geigerin ist: Er hört zwei Dutzend höchst abwechslungsreiche Stimmungsbilder, seelenvoll und mit Esprit.“
 
August

August, Sommermonat der Leidenschaft. Die lettische Mezzo-Sopranistin Elīna Garanča nahm sich die Schwüle der rasanten Gefühle zum Thema und stellte mit „Habanera“ ein Programm rund um das Sujet Carmen und dessen Klangverwandte vor. „Es ist der Clou des neuen Recitals von Elīna Garanča, dass sie die Programmfolge mit den beiden Versionen von Carmens Habanera beschließt“, hieß es in der Rezension der Bayerischen Rundfunks. „Sie setzt damit ein Fragezeichen hinter die Aufführungskonvention, aber auch hinter die dezidiert spanische Wesensart der Femme fatale: Wäre die Zigeunerin nicht auch und gerade in Frankreich oder in noch nördlicher gelegenen Regionen Europas denkbar?“. Der englische Guardian war darüber hinaus vor allem von den hohen Tönen der Sängerin fasziniert: „Her voice impresses, though one notices that the sound has brightened of late, and that a newly found ease at the top has come at the cost of tone lower down. The shift allows her to interpolate a showy, but thrilling top B into Carmen’s Seguidilla, and to tackle De España Vengo, the big soprano number from Luna’s El Niño Judío, with abandoned ease .“ Das Kulturportal Kultiversum.de schließlich rundete diese Beurteilungen lobend ab und meinte: „Garanča zeigt in allen 19 Nummern sicheren musikalischen Geschmack und stilistisches Fingerspitzengefühl. Sie versucht gar nicht erst, eine Südländerin oder eine Zigeunerin zu mimen, sondern entwickelt die Musik aus ihrem nordischen Temperament und aus dem Zentrum ihrer eigenen Emotionen. Gesanglich bleibt sie dabei durchweg entspannt und geschmeidig, es gibt keine Drücker, keine Verfärbungen, keine forcierte Erotik. Auch technisch ist sie ohne Makel.“

Wo die lettische Sängerin sich in den Süden begab, da wanderte der Berliner Oboist Albrecht Mayer musikalisch in den Westen. Mit „Bonjour Paris“ schuf er eine Hommage an das künstlerische Flair der Seine-Metropole und widmete sich ausführlich den Melodien der 19.Jahrhunderts bis hin zum Impressionismus. Und damit traf er den Geschmack seiner Hörer, die dazu beispielsweise bei amazon.de schrieben: „Albrecht Mayer schenkt uns hier als ‘Botschafter der französischen Musikkultur’ wieder einmal mehr ganz wunderbare Oboen-Träume, berühmte Werke des ausgehenden spätromantischen und einsetzenden impressionistischen Genres, lässt mit seinem einzigartigen, weichen, warmen ja manchmal geradezu ‘voluptueux’ klingenden Oboen-Spiel jene Musik neu erleben, die weit über Paris hinaus den Charme Frankreichs zeitlos illustriert, nimmt uns mit auf seinen Spaziergang, spielt als einfühlsamer ‘flâneur par la belle époque’ gemeinsam mit der Academy-of-St.-Martin-in–the-Fields und deren wundervollen Solisten (Klarinette z.B.) sehr genial ‘la poésie parisienne’“. Die Thüringer Allgemeine Zeitung fügte ähnlich enthusiastisch in ihrer Besprechung hinzu: „Voll Weichheit singt Mayer auf seinem Instrument, und genauso zart, um das heraufbeschworene, noch impressionistisch verschwommene Bild nicht zu zerstören, setzt stets die Academy-of-St.-Martin-in–the-Fields. […] Mit großem Atem und weiten Phrasierungsbögen verleiht Mayer den Melodien Tragweite. Das englische Kammerorchester beweist tiefen Spürsinn für die Sensibilität der Kompositionen. Schönste Wechselspiele zwischen den Instrumenten und klanglich ausgewogene Einfärbungen der Melodie salben den verklärten Blick“.

September

War der August noch relativ ruhig, so folgte im September eine ungewöhnliche Veröffentlichung der nächsten. Rolando Villazón eröffnete den Reigen mit einem Widmungsalbum an sein Heimatland „Mexico!“, das ihm nicht nur viele Einladungen in Fernsehshows und Talkrunden bescherte, sondern auch zahlreiche Rezensionen, die wie der Berliner Tagesspiegel den Sänger beispielsweise umfassend portraitierten: „In der Tat musste sich der Sänger im April vergangenen Jahres einer heiklen Stimmbandoperation unterziehen. Und kaum war diese glücklich überstanden, begann ihn eine Reflux-Erkrankung zu quälen. Auf der CD jedoch erlebt man natürlich den feurigen, leidenschaftlichen, mitreißenden Rolando, der gerne auch ganz opernhaft aufdreht, wenn es pathetisch-sentimental wird. Ein Hintergrundgedudel-Album ist es dennoch nicht geworden. Dafür sind allein schon die Arrangements der Band zu gut: Was die Bolivar Soloists da bieten, ist mehr als simple Begleitung, sondern fast schon Kammermusik mit obligatem Gesang, virtuos im Dialog der Instrumente, voller raffinierter klanglicher Details und bewusst gesetzter rhythmischer Irritationen.“

In mancher Hinsicht eine kleine Sensation wiederum waren die Adaptionen der Musiken für Computerspiele des japanischen Komponisten Nobuo Uematsu durch den jungen Pianisten Benyamin Nuss. Hier wurde Neuland betreten, im großen Rahmen mit dem „Symphonic Fantasies“, vor allem aber mit einem Solo-Recital. „Video-Game-Musik In Concert – arrangiert für Soloklavier. Der Ausnahmepianist Benyamin Nuss öffnet die Klangwelt der Videogames einer breiten Öffentlichkeit“, berichtete die Plattform monstersandcritics.de. „Gerade Klassikfans werden sich einerseits wundern, andererseits werden sie sicherlich begeistert sein, was sich die Jugend heute so alles anhört beim Gamen. Die Musik, die Benyamin Nuss qualitativ hochwertig zu Gehör bringt, versprüht eine beeindruckende Atmosphäre. Emotionen werden greifbar.“ Die Wochenzeitung Die Zeit widmete dem Newcomer sogar ein ausführliches Portrait und versuchte auf diese Weise, das noch schwer zu fassende Phänomen um den Pianisten einzukreisen: „Was ist also das Besondere an Benyamin Nuss’ Konzerten? Sind sie nur eine Erweiterung des herkömmlichen Klassikbetriebs mit anderen Mitteln? Der junge Pianist, der bei Anatol Ugorski und Ragna Schirmer Meisterkurse belegt hat und täglich bis zu sieben Stunden übt, erzählt von seinem Konzert in der Kölner Philharmonie: ‘Ich habe ein ruhiges Stück gespielt, und es war unglaublich still im Publikum! Dann war ich fertig, und alle standen auf, klatschten und freuten sich einfach, dass ich ihre Musik gespielt habe. Das war das Schönste, was ich erlebt habe. Vor allem, dass so viele junge Leute da waren. Die kommen wirklich in die Konzertsäle und sitzen nicht nur vor dem Bildschirm rum.’"

Ebenfalls ungewöhnliches Terrain, wenn auch nicht zum ersten Mal, betrat im Herbst der international renommierte und mehrfach Grammy-gekrönte Bariton Thomas Quasthoff. Denn nach dem Abstecher in das Jazzlager widmete er sich mit „Tell It Like It Is“ Klassikern des Soul-Repertoires, wieder mit bewährter Mannschaft und viel Esprit. „Quasthoff glückt mehr“, meinte die Wiener Zeitung unter Bezugnahme auf Crossover an sich. „Seine nunmehr zweite, nun ja, unklassische CD zeigt nicht nur einen ausgereiften Soulsänger mit adäquater Band. Ein Restbetrag klassischer Tugenden bürgt für einen unverwechselbaren Sound. Die ausgefeilte Phrasierung, die beigemengte Basswärme: sinnlicher Soul aus dem Geist hoher Klangkultur.“ Ulf Drechsel vom Kulturradio rbb vergab dafür vier von fünf Sternen, mit folgender Begründung: „Bei allem Vibrato, das Quasthoff nicht ablegen kann und / oder mag, klingt seine Stimme sehr geerdet und man nimmt ihm ab, dass diese Lieder auch ‘seine Songs’ sind. Songs, die ihn in seinem Leben begleiten, die zu ihm gehören. Tell It Like It Is ist nicht das Ergebnis einer Marketingstrategie, sondern eine Herzensangelegenheit, für deren künstlerische Umsetzung Thomas Quasthoff mit Frank Chastenier (p), Bruno Müller (g), Dieter Ilg (b) und Wolfgang Haffner (dr) großartige Partner gefunden hat! Gleichwohl entpuppt sich Thomas Quasthoff nicht als lupenreiner Blues- oder Soul-Shouter, er bleibt klassischer Sänger mit erfrischender Offenheit und bemerkenswertem Feeling für ‘schwarze Musik’". 

Quasthoffs Gesangskollege Jonas Kaufmann hingegen setzte ganz darauf, seine Position als führender Tenor der Gegenwart auszubauen. Dazu gehörte einerseits sein umjubeltes „Lohengrin“-Debüt in Bayreuth, aber auch das Album „Verismo Arias“ mit Melodien aus dem italienischen Opernfundus. Das wurde von den Connaisseuren anerkannt und etwa von der österreichischen Die Presse entsprechend gewürdigt: „Es sind die Strahle-Töne, aber auch die gehauchten Pianissimi, die Kaufmann berühmt gemacht haben. Beides kommt auf der Verismo-CD bestens zur Geltung. Die Frage, wie lange eine solche Stimme dem beständigen Hochdruck standhalten kann, schwingt bei Kennern bange mit. Aber Canio, Chenier und Co. leben und leiden hier – auch dank Antonio Pappanos engagierter Begleitung – mitreißend wie selten.“

Oktober

Der Kaminsims in Cecilia Bartolis Appartement muss längst von Trophäen nur so überquellen. Denn die römische Mezzo-Sopranistin gehört zu den meist geehrten Klassik-Künstlern ihrer Generation, ist sie doch eine von jenen, die ihren Blick stets auf Neues richten. „Sospiri“ nun stellte auf zwei CDs einige dieser vokalen Höhepunkte zusammen und wurde als exemplarische Werkschau von Presse und Publikum genossen. „Mit ihrer Stimme, so farbenreich wie ein ganzes Orchester, ihrer einzigartigen Ausdruckskraft und ihrem ungezähmten Temperament verzaubert Cecilia Bartoli wieder einmal die Musikwelt. Ihre Lieblingsarien von Händel bis Mozart, Bellini bis Mascagni, reiht sie wie Perlen auf eine Kette. ‘Sospiri’ ist ein neues Glanzstück, schlicht und innig gefasst“, urteilte Claudia Dasche im Deutschlandradio Kultur und ihr Kollege Uwe Golz fügte an gleicher Stelle hinzu: „Best Of-Zusammenstellungen sind nicht jedermanns Sache, aber wenn die Bartoli singt, sind jegliche Vorbehalte schnell vergessen. Wer bisher keine Aufnahme dieser Sopranistin im Schrank hat, diese sollte er besitzen. Einen schöneren Rundumschlag ihrer Stimme wird er nicht finden. Und als kleines Schmankerl gibt es auch noch zwei Erstveröffentlichungen von Vinci und Rossini oben drauf. Bartolissimo!“

Juan Diego Flórez wiederum füllte eine nach seiner eigenen Meinung bislang vorhandene Lücke im persönlichen Repertoire und wandte sich im Oktober einem Programm mit geistlichen Arien zu. „Santo“ stand als Titel über dem Projekt, geehrt wurde er aber noch für sein voran gegangenes Album „Belcanto Spectacular“, als Mitte Oktober 2010 die Echo Klassik Award überreicht wurde. Denn Flórez wurde für die „Beste Operneinspielung des Jahres“ ausgezeichnet. Zu weiteren Preisträgern gehörten übrigens auch der Pianist Lang Lang, seine Kollegin Alice Sara Ott, das Fauré Quartett, der Tenor Jonas Kaufmann, die Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli, der Bariton Bryn Terfel, die Geigerin Janine Jansen und der Oboist Albrecht Mayer.

Hélène Grimaud hatte sich aus gesundheitlichen Gründen eine Pause gegönnte, kehrte aber im Oktober 2010 mit neuen Impulsen auf die internationale Bühne zurück. „Resonances“ nannte die französische Pianistin ihr Programm mit Mozart, Bartók und Berg und beeindruckte damit als raffiniert reflektierende Interpretin. Mit vielen Interviews von Bild bis Die Zeit erklärte sie das ungewöhnlich Programm und auf der Kulturseite n-tv.de hieß es dazu stellvertretend für viele ähnlich faszinierte Meinungen: „Gelegentlich wirkt die Herausarbeitung von Ähnlichkeiten zwischen den Großen der österreichisch-ungarischen Klassik, beziehungsweise klassischen Moderne, ein wenig gewollt. Dennoch bieten sowohl Grimauds Interpretationen als auch die Programmauswahl ohne Zweifel eine neue Sicht auf scheinbar Altbekanntes und stellen Zusammenhänge her, die so bislang nur selten zu hören waren. Bei einer guten Wiener Melange und mit ein wenig Sinn für die Grundidee ist die CD ein Genuss.“

November

Erst kamen die Mönche, dann die Nonnen. Mit dem Album „Voices – Chant From Avignon“ knüpften die Schwestern des französischen Stifts Notre-Dame de L’Annonciation in Le Barroux in der Nähe von Avignon an die Gesänge der Mönche aus Heiligenkreuz an und schafften es prompt, damit nicht nur die britischen Hitparaden hinauf zu klettern. „Die unvergleichliche Aura dieser Gesänge entspringt einem Klosterleben, das quer zu unserer hektischen modernen Welt liegt“, portraitierte das Musikportal klassikerleben.de das Projekt. „Der Weg ihrer Musik hinaus in die moderne Welt der Medien hat sie selbst überrascht: ‘Wir haben nicht danach gesucht’, sagt ihre Äbtissin.  ‘Das Projekt hat uns gefunden.’ Nach vielen Gebeten kamen sie zur Erkenntnis, dass sie das Album machen würden. Natürlich ohne dass jemand von der Plattenfirma das Kloster betritt. Selbst die Fotos für das Cover und die Videoaufnahmen für die Werbung haben sie selbst gemacht – hinter Klostermauern“.

Und haben damit den Nerv der Zeit getroffen, wie übrigens auch Martin Grubinger. Für sein Debüt bei der Deutschen Grammophon, „Drums ‘n’ Chant“,beschäftigte sich der Salzburger Schlagzeuger und Senkrechtstarter der Klassikszene auf seine Weise mit der Gregorianik, durchaus ungewöhnlich uns kontrovers. „Genregrenzen zu überschreiten, das ist für Grubinger lustvolles Programm. Neue Musik, Lateinamerikanisches, japanische Taiko-Drums, Afro-Sounds, Rock, Minimalmusik, alles ist drin in der Wundertüte des ‘Multiperkussionisten’, wie er sich nennt“, räsonierte Die Zeit in einem umfassenden Portrait des Künstler und ergänzt: „Seine erste CD ist ganz anders – und doch auch wieder nicht. Das Arsenal auf Drums’n’Chant ist immer noch groß und multikulturell, aber auf die auftrumpfende Virtuosität haben Grubinger, sein Vater und die Hand voll Schlagwerk-Kollegen verzichtet. Die würden auch kaum zu den Gregorianischen Chorälen passen, die von Archivaufnahmen der Benediktinermönche aus Münsterschwarzach kommen. Die eher dezenten Rhythmen aus aller Welt allerdings passen faszinierend gut dazu. Das mag daran liegen, dass die Musiker nicht mal eben zu den Archivbändern losjammten – da war schon der Münsterschwarzacher Pater Rhabanus Erbacher vor, als Hüter der Gregorianik. Der meint, die Choräle bräuchten keinen Zierrat – ein Dialog der Welten aber wie bei Grubinger, das sei schon eine andere Sache.“

Bleibt noch der letzte wichtige Solo-Künstler des Jahres 2010: Andreas Scholl. Mit „O Solitude“ kehrte der international renommierte Countertenor in das Prioritäten-Programm der Decca zurück und stellte ein Album mit herausragenden Arien von Henry Purcell zusammen. „Solitude heißt in deutscher Übersetzung Einsamkeit. Und die Einsamkeit hat viele Namen – Schmerz, Sehnsucht, Bitternis, Kälte. Doch wenn Andreas Scholl sie in Töne übersetzt, Töne, die schon vor mehr als 300 Jahren Englands berühmter ‘Orpheus Britannicus’ Henry Purcell verfasste, lernt man Einsamkeit von ihrer beglückenden Seite kennen“, urteilte die Rezensentin von Deutschlandradio Kultur und schloss sich damit dem umfassenden Lob an, dass Andreas Scholl flächendeckend wie auch bei den Kollegen von kulturradio rbb für seine künstlerische Arbeit erhielt: „Henry Purcell hat die Bedeutung der Worte in Musik übersetzt, und Andreas Scholl lässt jede Note mit Leben aufblühen wie ein guter Schauspieler seinen Text.“

Dezember

So neigt sich ein Klassikjahr dem Ende zu, das sich mit viel Elan gegen allgemeine kulturelle Trends der Verknappung stellte. Denn auch in dieser Diskussion hat die Musik, ob klassische oder modern, eine wichtige Funktion. Wer zeigt, was es für wunderbare Klänge auf der Welt gibt, hat Argumente in der Hand. Und wer einmal von der Faszination der Klassik erfasst wurde, den lässt sie so schnell nicht wieder los. Die Künstler jedenfalls gehen ihre Wege unbeirrt weiter, neben dieser Auswahl auch eine große Zahl von Koryphäen wie Riccardo Chailly, der anno 2010 einen umfassenden Bach-Zyklus mit dem Gewandhausorchester präsentierte, wie Claudio Abbado und Ludovico Einaudi, Pierre Boulez und William Orbit, Gidon Kremer und Jan Garbarek, die an das glauben und danach handeln, was Friedrich Nietzsche einst lakonisch auf den Punkt brachte: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“:

Symphonicities: Sting
STING Symphonicities
13. Juli 2010

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