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Zeitlos schön – Vier neue Sinfonie-Editionen von Claudio Abbado

Claudio Abbado
© Felix Broede / DG
02.07.2015

Seine Neuerungen kamen auf leisen Sohlen daher. Er trat nicht an, um das Rad der Geschichte neu zu erfinden. Wenn er ans Pult ging, dann nie mit einem selbstherrlichen Gestus.  

Diskrete Wandlungen

Im Gegenteil: Die künstlerischen Mittel Claudio Abbados waren unspektakulär. Rein äußerlich betrachtet haftete ihnen nichts Genialisches an. Es ging um Konzentration, um Neugierde und vor allem ums Zuhören. Nichts liebte dieser zurückhaltende Maestro mehr als die unbefangene Aneignung eines Orchesterwerks. Was steht in der Partitur? Wie könnte es klingen? Vergessen wir einmal alles, was wir wissen. So schien er zu arbeiten, und deshalb schätzte er junge Musiker, die neugierig sind, ohne dabei den Wert der Reife, den er selbst wie kein Zweiter verkörperte, zu verraten. Die Früchte seiner Arbeit waren enorm. Wie die nach seinem Tod im Jahre 2014 erschienenen Werke aus dem Nachlass und dem reichen Fundus seiner vier Jahrzehnte währenden Aufnahmetätigkeit für Deutsche Grammophon beweisen, veränderte er mit seinen vergleichsweise alten Tugenden die Hörgewohnheiten grundlegend.

Überraschender Meister

Auf dem sinfonischen Feld wird man immer mit etwas Neuem überrascht, wenn man Abbado hört. Er bringt es fertig, einen schwerblütigen Komponisten wie Brahms lockerleicht klingen zu lassen und einen beschwingten Tänzer wie Mozart melancholisch. Aber nicht um zu beeindrucken, sondern weil er in der Partitur und beim Proben etwas entdeckt hat, was solche Umkehrungen plausibel macht. Seine zuletzt erschienene Aufnahme mit Schuberts großer Sinfonie in C-Dur war eine Sensation. So schwebend hatte man Schubert noch nie gehört. Und wie oft war diese Sinfonie schon aufgenommen worden! Deshalb ist jeder neue Abbado ein Ereignis, und umso erfreulicher ist es, dass jetzt gleich vier Editionen herauskommen, die ins Zentrum seiner sinfonischen Bestrebungen führen. 2014 startete Deutsche Grammophon mit vier Einzelausgaben zu Mozart, Brahms, Bruckner und Mahler die große Abbado-Sinfonie-Edition. Jetzt sind Haydn, Beethoven, Schubert und Mendelssohn an der Reihe.     

Klassik und Romantik

Es ist überaus reizvoll, diese Editionen jeweils für sich und im Vergleich zu hören. Denn wenn es ein Kennzeichen von Abbados hoher Interpretationskunst gibt, dann ist es die wechselseitige Durchdringung von Klassik und Romantik, von Haydns Harmonieschönheiten etwa und Beethovens Gefühlsintensität. Abbado achtet penibel auf harmonische Ausgewogenheit und transparenten Klang, aber im Gegensatz zu anderen Perfektionisten lässt er es nie an musikalischer Eleganz und romantischem Pathos mangeln. Dadurch entdeckt er in Haydns fließenden Harmonien und tänzerischen Rhythmen bereits romantische Vorzeichen, und bei Beethoven, der von Haydn zutiefst geprägt war, erinnert Abbado an die klassischen Harmonien, die den leidenschaftlichen Ausbrüchen des rebellischen Komponisten zu Grunde lagen.

Meister-Editionen von Claudio Abbado

Abbado. Haydn” umfasst vier Tonträger, auf denen nebst kleineren Arbeiten sieben der berühmten Londoner Sinfonien des österreichischen Komponisten enthalten sind. Abbado hat diese Spätwerke des Wiener Klassikers, die bereits deutliche Zeichen einer romantischen Ausdruckskunst aufweisen, mit dem Chamber Orchestra of Europe aufgenommen. Die Aufnahmen wurden vor allem für ihre harmonische Sorgfalt und Musizierfreude gelobt.

Die Edition “Abbado. Beethoven” enthält auf zehn Tonträgern alle neun Beethoven-Sinfonien (Berliner Philharmoniker), alle fünf Klavierkonzerte (mit Maurizio Pollini) sowie einige Vokalkompositionen Beethovens. Bei diesen Aufnahmen war es vor allem die mondäne Eleganz, für die Abbado Beifall erhielt.

Abbado. Mendelssohn” umfasst fünf Tonträger und enthält neben einigen unvergessenen Schätzen wie dem Sommernachtstraum die Sinfonien 1–5 des Hamburger Romantikers, der ein Meister ausgewogener Harmonien und wohldosierter Gefühlspoesie war.

Abbado. Schubert” schließlich umfasst acht Tonträger, auf dem sich die Sinfonien 1–6 und 8–9 (Chamber Orchestra of Europe), einige geistliche Werke sowie “Lieder in Orchesterfassung” (mit Thomas Quasthoff und Anne Sofie von Otter) befinden. Wie gut Schuberts berückend schöne Melodik mit Abbados moderner Eleganz harmoniert, davon kann sich jeder überzeugen, der auf diese berührenden Aufnahmen zugreift.

Haydn
ABBADO - HAYDN
6. Juli 2015

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