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Wolfgang Amadeus Mozart
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Die andere Entführung

15.11.2006

Es geht um Grundsätzliches. Soll sich ein Regisseur, der sich eines historischen und wohl bekannten Stücks wie Mozarts Oper “Die Entführung aus dem Serail” annimmt, an die Details der Vorlage halten oder darf er im Dienste der Kunst oder auch der Erkenntnis in das Geschehen korrigierend eingreifen? Inwieweit verfälscht er einen Plot, indem er ihn abstrahiert oder persifliert? Vor allem, darf er das, wenn es sich um Monumente der klassischen Bühnenkultur wie eben jenes international beliebte Intrigensingspiel mit eindeutigen Vorstellungen handelt? Stefan Herheim würde sagen: Natürlich! und Peter Ruzicka würde ihm unterstützend beipflichten. Schließlich gibt es kaum etwas Langweiligeres, als die gebetsmühlenartige Wiederholung des Immergleichen. Und darüber hinaus hat auch eine exotische, aufgeklärt wirkende Oper ihrer tieferen Ebenen, die freigeschaufelt werden können. Deshalb gehörte eine der ungewöhnlichsten Mozart-Inszenierungen der vergangenen Jahre zum “M 22”-Komplex der kompletten Aufführung aller Opern des Genius bei den Salzburger Festspielen 2006 und ist nun im Rahmen der DVD-Edition zur umfangreichen Diskussion freigegeben.

Schon das Original hatte ein ungewöhnliches Libretto. Wo sich sonst die Oper an Schicksalen ergötzt, die in Katastrophe und Tod enden, hat Gottlieb Stephanie der Jüngere die Liebe und die Menschlichkeit über Rache und Vergeltung triumphieren lassen. Es hat einen Hauch von Lessings “Nathan”, wenn Sultan Bassa Selim die Liebenden in die Freiheit entlässt und eben nicht den Einflüsterungen den einfältigen Osmin folgt, der den abtrünnigen Haremsdamen und deren Geliebten den Strick um den Hals wünscht. Zu Mozarts Zeit jedenfalls war es ein gewaltiger Fortschritt, Derartiges auf einer Opernbühne zu präsentieren, noch dazu im vermeintlich schlüpfrigen Milieu eines Serails. Es spielte natürlich auch mit den Moden, denn das Orientalische stand mit seiner Mischung aus Luxus und Bedrohung, aus Feingeist und Religionsfeindschaft ganz oben in der Publikumsgunst der Wiener Hautevolee. Man hatte es gerne “alla turca”, erdachte sich allerlei Klischees um die Osmanen herum, die zuweilen mit viel Pomp spätbarock / frühaufgeklärt inszeniert wurden. Da passte, trotz anfänglicher Bedenken, Mozarts Oper ins Bild und entwickelte sich etwa an Schikaneders Theater auf den Wieden zu einem Publikumsmagneten. Seitdem hat man sich an das Orientaleske der klischeehaften Handlung gewöhnt, das in verschiedenen Abstufungen immer wieder neu aufgegossen und genossen wurde.

Um so irritierender ist es, wenn ein Regisseur all das weglässt, wofür viele die “Entführung aus dem Serail” lieben: das Exotische, Orientalische, die ursprüngliche Figurencharakteristik, ja sogar zentrale Gestalten wie den Bassa Selim, der in Mozarts Version als Sprechrolle doch so wunderbar die Versöhnung der Kulturen vollzieht. Als der damals 33jährige norwegische Regietheaterspezialist Stefan Herheim von Intendant Peter Ruzicka 2003 mit einer Neudeutung des Werkes für Salzburg betraut wurde, kam es prompt zum Eklat. Viele fühlten sich von der Interpretation wenn nicht brüskiert, so doch allein gelassen, und lehnten sie lautstark ab. Das hinderte Ruzicka jedoch nicht daran, die Inszenierung für die “M 22”-Reihe erneut auf den Spielplan zu setzen und ihr damit auch den Weg in die DVD-Edition zu ebnen. Aus der Distanz heraus erscheint diese Entscheidung als stichhaltig, denn diese “Entführung” ist etwas Besonderes. Sie entkoppelt die Musik von der burlesken Handlung, reduziert die Paare Konstanze (Laura Aikin), Belmonte (Charles Castronovo) und Blonde (Valentina Farcas), Pedrillo (Dietmar Kerschbaum) auf das Wesentliche der Geschlechterkampfes und ernennt den im Original thumben Harmenswärter Osmin zu einer Art Synthese aus Priester und Mephistopheles. Heraus kommt eine in der Handlung abstrakte, in der Wirkung jedoch sehr konkrete Parabel auf die leidvolle Beziehungsarbeit zwischen Mann und Frau, die erst durch ein hohes Maß an Reflexion und Rücksichtnahme zum Glück werden kann. Von Orchester des Mozarteums unter der Leitung von Ivor Bolton souverän gerahmt, ist auf diese Weise eine Aufnahme entstanden, die sich auch für alle die lohnt, die schon zwei “Entführungen” im Schrank stehen haben.

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