Sie sind ein ungleiches, aber gleichrangiges Paar. Anne-Sophie Mutter, eine der größten Geigerinnen der Gegenwart, deren strahlender Ton bei makelloser Technik immer von Neuem verblüfft. Und André Previn, einer der vielseitigsten Komponisten, Dirigenten und Pianisten seiner Generation, der mit nahezu allen wichtigen Orchestern der klassischen Welt gearbeitet hat und seine musikalischen Erfahrungen aus divergierenden Klangwelten vom Jazz bis zu zeitgenössischen Experimentalideen schöpft. Gemeinsam sind sie ein kreatives Team mit enormem Gestaltungspotential, eine Art Think Tank der postavantgardistischen Moderne, fest in der Tradition verwurzelt und doch offen nach vielen Seiten. Eine Idealbesetzung, um ein Violin-Konzert aus der Taufe zu heben.
André Previn ist eine außergewöhnliche Gestalt der internationalen Musikszene. Er ist einer der wenigen Künstler unserer Tage, der sich so gar nicht in ein gängiges Schema pressen lässt. Geboren 1929 in Berlin als Sohn eines französischen Rechtsanwalts und Musikers, aufgewachsen in Kalifornien im Umkreis der sprießenden Jazzszene und boomenden Filmindustrie, fand er nach der Ausbildung bei Joseph Achron und Mario Cestelnuovo-Tedesco sein Auskommen zunächst in Hollywood als Pianist und Dirigent bei Metro Goldwyn Meyer. Als eleganter Improvisator im West Coast-Stil nahm er erfolgreiche Alben mit eigenem Jazztrio auf und gewann 1961 seinen ersten Grammy. Etwa zur gleichen Zeit aber begann er wieder zu studieren, und schulte mit Hilfe von Pierre Monteux zum klassischen Dirigenten um. Auch hier hatte er Erfolg und leitete in den folgenden Jahren Ensembles wie das London Symphony Orchestra (1969–79), das Royal Philharmonic Orchestra (Musikalischer Direktor 1985–88; Chefdirigent 1988–91) und das Los Angeles Philharmonic Orchestra (1985–89). Anfang der Neunziger fand er zurück zum Jazz, spielte mit Joe Pass, Ray Brown, Mundell Lowe und schrieb seine erste Oper “A Streetcar Named Desire” nach Tennesee Williams. Schließlich verliebte er sich in Anne-Sophie Mutter und sie in ihn, was zu einer spektakulären und zugleich musikalisch produktiven Liaison führte.
Denn Previns erstes Violinkonzert ist eine Hommage an seine Partnerin, aus genauer Kenntnis ihrer Kunst auf ihre speziellen Stärken zugeschnitten. Etwa die ätherische Klarheit und lyrische Brillanz, die sie in den hohen Langen zu entwickeln versteht. Oder die Erfahrung mit unüblichen Intervallen und Ausdrucksnuancen, die sie über die Arbeit an Werken zeitgenössischen Komponisten gesammelt hat. Oder ihre Fähigkeit, dynamische Kontraste in Emotionsausbrüche ohne übertriebenes Pathos zu verwandeln. “Zur Zeit kann ich mir nicht vorstellen, dass ein anderer Interpret das Violinkonzert spielt, denn es ist in jeder Hinsicht auf Anne-Sophie zugeschnitten”, meint Previn selbst und auch für Mutter hat es bereits einen besonderen Stellenwert in ihrer musikalischen Biografie: “Es wird mir furchtbar schwer fallen, das Konzert loszulassen”, erzählte sie dem Magazin Gramophone und fügte hinzu: “Ich fand es schon immer schwierig, einen Kollegen ein zeitgenössisches Werk spielen zu hören, das ich sehr liebe – besonders wenn es für mich geschrieben ist. Das ist, als würde man es mir aus dem Herzen reißen”.
Und doch gehört es zum Geschäft, immer weiter nach den Idealen der Interpretation zu forschen. Auch Mutter widmet sich daher Werken, die für andere geschrieben wurden und fügt der im Oktober 2002 entstandenen Live-Aufnahme des Previn-Konzertes mit dem Boston Symphony Orchestra ein Pendant ähnlicher Klasse hinzu, diesmal ein Dreivierteljahr später mit den Londoner Symphonikern eingespielt. Denn Leonard Bernstein hatte seine “Serenade”, die eigentlich ein Violin-Konzert ist, im Jahr 1954 unter dem Eindruck der Lektüre von Platons “Gastmahl” geschrieben. Es ist ein schelmisches Jugendwerk mit Anklängen an viele musikalische Seiten, vom hochkulturellen Gestaltungsidiom orchestraler Üppigkeit über filmmusikalische Andeutungen bis hin zum jazzinspirierten Finale. So passt es perfekt zu Previns polystilistischem Oeuvre, als Ergänzung und Gegenpol zu seiner ästhetischen Perspektive, die ein halbes Jahrhundert mehr an Eindrücken zu verarbeiten hat.