"Ein Pianist mit immenser Fantasie und Bandbreite"

Das Album auf 2LP und als Sonderedition mit Art Card und mehr von Keith Jarrett und ECM Records finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Am 8. Mai feierte Keith Jarrett, der sich 2018 aus gesundheitlichen Gründen von der Konzertszene verabschieden musste, seinen 80. Geburtstag. Annähernd 50 Jahre lang – von seinem Solo-Debütalbum “Facing You” aus dem Jahr 1971 bis zu den berauschenden Konzertaufnahmen aus München, Budapest und Bordeaux aus dem Jahr 2016 – hatte Jarrett für den Produzenten Manfred Eicher und das Münchner Label ECM Records unzählige Alben eingespielt, die ihn als einen der prägendsten Jazzpianisten und größten Improvisatoren des 20. und 21. Jahrhunderts etablierten. Pünktlich zum runden Geburtstag des Ausnahmekünstlers brachte ECM zur mit “New Vienna” eine vierte Live-Aufnahme von Jarretts letzter Solo-Europatournee heraus. Die Auftritte, von denen damals niemand ahnte, dass es seine letzten sein würden, hatten hymnische Konzertkritiken in der internationalen Presse geerntet. Nun ist “New Vienna” auch als Doppelalbum auf Vinyl erhältlich – im JazzEcho-Store als exklusive Edition mit Art Card. Aus diesem Anlass haben wir hier einige aktuelle Albumkritiken zu “New Vienna” zusammengestellt.
Das Magazin AUDIO Stereoplay kürte das Album zum Jazz-Highlight. In seiner Rezension schrieb Autor Ralf Dombrowski: “Er wollte sich immer auch selbst überraschen. Keith Jarrett brauchte dazu das Publikum, maßregelte es gerne, schätzte es aber auch als Echoraum seiner eigenen Kreativität. Er war stets mehr Konzertpianist als ein Mann des Aufnahmestudios. Während seiner letzten Solo-Tournee durch Europa 2016 machte er auch im Wiener Konzerthaus Station. ‘New Vienna’ ist ein in neun Einzelbilder plus Zugabe aufgeteiltes Live-Programm, das den Meister in seinen Facetten vom Melodiker über den Dekonstruktivisten und Blues-Intellektuellen bis zum Klangwühler und Feintöner präsentiert. Keith Jarrett gönnte sich die Freiheit der spontanen Musikentwicklung. Der Maestro wollte nichts planen, und so wurde auch ‘New Vienna’ ein überraschendes, oft mitreißendes Konzert.”
In der Mittelbayerischen Zeitung notierte wiederum Ulrich Steinmetzger: “2017 zog sich Jarrett aus dem Konzertleben zurück. Im Archiv von ECM aber schlummern noch Schätze, so auch der nun veröffentlichte Auftritt vom 9. Juli 2016 im berühmten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Es ist der zweite auf CD erschienene Wien-Auftritt Jarretts nach dem in der Staatsoper im Juli 1991. Damals waren es zwei weit ausholende Stücke in einem fast 70-minütigen Rezital, in der jüngeren Aufnahme sind es neun in sich geschlossene Spontankompositionen, gefolgt von einer berückenden Version von Jarretts Lieblingszugabe ‘Somewhere Over the Rainbow’. Das Kleinteiligere kennzeichnet Jarretts solistisches Spätwerk, bei dem er mit den Kräften haushalten musste. Doch auch auf dieser letzten Solotour ist kaum zu glauben, welche melodiösen Preziosen er dem Moment abringt. Entstanden sind wunderschöne Stücke, die zu immer neuem Hören einladen. Nach einem dichten Clusterhagel zu Beginn, schwelgt Jarrett in Melodien, schichtet Rhythmen, verwebt gegenläufige Muster, entwickelt Lyrisches, intoniert Blues, lässt Gospel und Country irrlichtern und fügt das alles zu einer großen Suite – außergewöhnlich wie immer und eindringlich schön.”
Im Magazin Rondo hob Werner Stiefele besonders die “immense Fantasie und Bandbreite des Pianisten” hervor und schrieb , dass er nach eigener Aussage “jedes Solokonzert ohne die geringste Ahnung dessen eröffnet, was er in den nächsten ein bis zwei Stunden tun wird. Keine Themen, keine Stimmungen, kein Plan. Alles offen. Wenn’s gut geht, wird ein spannender, ereignisreicher Konzertabend daraus. Der 9. Juli 2016 war ein solcher Tag. Jarrett holt ein paar Töne aus dem Flügel, setzt weitere hinzu, verschränkt sie mit anderen, baut Linien, rumort ein wenig in den Tiefen, rast über die Höhen, und allmählich entsteht eine vehement pulsierende Struktur von Begegnungen. Ein leiser, zögernder ‘Part II’ folgt, dann ein von widerstreitenden Rhythmen der linken und rechten Hand geprägter ‘Part III’. Ein zarter, lyrischer, schwebender ‘Part IV’ und ein balladenartiger ‘Part V’ bringen den Auftritt in geruhsamere Bahnen. Mit ‘Part VI’ kehrt Jarrett zum kantigeren, verschränkteren Spiel zurück, wechselt mit ‘Part VII’ wieder zum Balladenklang und lässt sich in ‘Part VIII’ auf einen kraftvollen Blues ein. In ‘Part IX’ scheint dann seine heitere, von Country, Gospel und Folksongs beeinflusste Seite durch. Was noch fehlt, ist die Zugabe. Indem Jarrett das Thema des Jazzstandards ‘Somewhere Over The Rainbow’ von Harold Arlen mit viel Liebe zur Melodie variiert, ist die Phase der ergebnisoffenen Improvisationen vorbei. Verträumter kann ein anfangs impulsives Konzert kaum enden.”
- Keith Jarrett: Klavier Solo Live Konzert, Tokio, 2002
- Keith Jarrett Trio: Tokio ’96, Konzert, Orchard Hall
- Keith Jarrett Trio: Standards II, Konzert, Tokio, 1986
- Keith Jarrett Trio: Standards I, Konzert, Tokio, 1985
- Keith Jarrett Trio: Live im Open Theater East, Konzert, Tokio, 1993